Lundberg, Jan, Der Fußball als Teil des Grundversorgungs- und Funktionsauftrags
Sportsendungen zählen nach gesicherter Ansicht zur sog. Grundversorgung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die präzise Fragestellung der Studie: Ob und in welchem Umfange dürfen die öffentlich-rechtlichen Sender immer kostspieligere Fußball-Berichterstattung durch Rundfunkbeiträge finanzieren? Überschreiten derart hohe Kosten die Grenzen der Verfassung? Das gesellschaftliche Interesse an diesem Sport könnte außer Verhältnis zum klassischen Rundfunkauftrag und zur Sicherung von gebührenabhängiger medialerVielfalt und inhaltlicher Ausgewogenheit geraten sein oder künftig gelangen.
Die von den krassen ökonomischen Voraussetzungen und dem enormen, exponentiellen Anstieg der Kosten für Verwertungsrechte ausgehende Untersuchung wurde von Christine Langenfeld, Göttingen, Bundesverfassungsrichterin, betreut. Die eingangs instruktiv präsentierten, veränderten finanziellen Grundausstattungen und ihren aktuellen Veränderungen sind für die anschließende verfassungsrechtliche Analyse unentbehrlich.
In gebotener Präzision und Kürze werden als Hintergrundinformationen wesentliche Akteure sowie Gründe für die Kostenexplosionen der „Rechtepakete“ ausgebreitet. Hier wirkt sich das preissteigernde Verhalten von Sportrechte-Agenturen aus. Die monopolistischen Lizenzgeber haben es in der Hand, angesichts der Konkurrenz der vermehrten Rundfunkanbieter und steigender Verbreitungsmöglichkeiten steigende Paketpreise zu diktieren. Zu den hier vorgestellten multiplen Faktoren zählt auch die preistreibende Etablierung des Pay-TV und die internationale Verbreitung von Sportformaten.
Mit dem Rundfunkbegriff und den verfassungsgerichtlichen Grundlagen der Rundfunkberichterstattung nach Art. 5 Abs.1 Satz 1 GG bewegt sich der Verfassungsrechtler auf einem vertrauten Spielfeld nationaler Gefühlsaufwallungen. Es wird durch den Rundfunk- bzw. Medienstaatsvertrag ausgefüllt. Was sich hier als notwendige „positive Ordnung“ (S. 54) versteht, ist durch vierzehn Rundfunkentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts differenziert entwickelt worden. Sie bilden von dem Urteil zum Deutschland-Fernsehen bis zum ZDF-Staatsvertrags-Entscheid das Rückgrat der Rundfunkverfassung. Komplexe internationale Austausch-Regeln vervollständigen das Bild eines sich permanent global erweiternden Marktes.
Im dualen Rundfunksystem steht nach wie vor der Begriff der „Grundversorgung“ mit seinen komplexen Elementen und die Bestands- und Entwicklungsgarantie zur Diskussion. Sie orientiert sich am weiter gefassten Funktionsauftrag der öffentlich-rechtlichen Sender. Lundberg sieht Fußballberichterstattung als integralen Teil des Auftrags der öffentlich-rechtlichen Sender. Dabei bleibt im Zentrum der Konflikt, ob eine so gewichtige prozentuale und finanzielle Programmausdehnung der Sportberichterstattung mit verfassungsrechtlich verpflichtender Grundversorgung und zudem mit dem umfassender definierten Funktionsauftrag noch vereinbar ist. Die Frage nach der rechtlichen Fundierung der Steigerung der Verwertungskosten in 50 Jahren von 0,33 Mio auf 628 Mio – dieser Zahlenausschnitt bezieht sich auf die Jahre zwischen 1965 und 2013 – ist mehr als berechtigt.
Die Untersuchung, ob der Privatfunk eine „Grundversorgung“ mit übernehmen könne, endet mit dem erwartbaren Ergebnis, dass mangels materieller Regelungen der öffentlich-rechtliche Rundfunk insoweit „alternativlos“ sei. Fußball als Sportbericht gehört zur normativ gefassten „Information“, auch in Form der Grundversorgung durch Live-Berichterstattung.
Eine Kernfrage richtet sich auf das Verhältnis von so praktiziertem Finanzbedarf zum tragenden Rechtsprinzip der „öffentlichen Hände“ von Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und entsprechender Kosten-Nutzen-Relation. Können diese Maßstäbe generell oder speziell gelten, wenn der spendable Ankauf von extrem teuer gewordenen Erstverwertungs-Rechten ein „Zuschussgeschäft“ ist? Wie lässt sich der Finanzbedarf wirtschaftlich und sparsam gegenüber der KEF überhaupt mittels auch solcher profitorientierter Faktoren legitimierend berechnen, wenn die in politisch bestimmter Gebührenabhängigkeit stehenden Sender selbst die Fußballsendungen gar nicht zu refinanzieren vermögen ?
Für Privatsender rechnen sich die Erwerbskosten durch die wegen Maximierung von Einschaltquoten erhöhten Einnahmen aus der Werbewirtschaft. In dem Maße, in welchem sich ARD und ZDF innerhalb des dualen Systems zunehmend dem vielfach kritisierten „Einschaltquotendruck“ unterwerfen, meinen sie auch, sich oftmals leichthin befreit von hinderlichen marktwirtschaftlichen Erwägungen in die Verhandlungs- und Erwerbsgeschäfte ihnen wertvoller Erst- und Live-Sendungen stürzen zu müssen.
Ist verfassungsrechtliche Garantie der Rundfunkfreiheit als „dienende“ Freiheit in einer dualen Rundfunkordnung schon puristisches Argument genug, um hohe, überproportional ansteigende Erwerbskosten für Rechte, Produktion und Technik als „nachrangig“ zu bewerten: als „gesellschaftlicher Preis“ für die Erhaltung eines „freien und autonomen Rundfunks“? Liegt die kaum präzise zu beschreibende, vieldeutige Grenze bei der Missachtung der Funktion und Aufrechterhaltung von Rundfunkfreiheit? ( S. 137)
Diese Grenze sieht Lundberg allein dort überschritten, wo solche Kosten zu Lasten der erforderlichen Vielfalt gehen würden. Solchen Missstand konstatiert er nicht. Sozial- und medienwissenschaftliche Forschung möchte derartige Belastungen bereits als gegeben erachten.
Vielfalt, inhaltliche Breite, Ausgewogenheit als Maßstäbe des Medienrechts können dann gefährdet sein, wenn Fußball-Livesendungen etwa im Hauptprogramm „Das Erste“ einen Anteil von 22 Prozent erreichen. Das Moment der verlangten programmlichen Ausgewogenheit wird kaum erreicht, wenn Fußballsendungen (allenfalls relativiert durch saisonal vergleichsweise hohe Anteile von Wintersport-Live-Sendungen) überproportional privilegiert werden – auch innerhalb des Gesamtheit von Sportformaten.
Das bei kritischen politischen Sendungen oder Magazinen gerne wie ein Mantra genutzte Ausgewogenheits-Postulat gerät zur Farce: das gesellschaftlich begründete erhöhte Interesse am Fußballsport wird auf diese Weise gegen sonst normativ eingesetzte Begründungs-Topoi ausgespielt. Das Überangebot von nationalem Lieblings-Spiel gewinnt gegen das Gebot der informationellen und kulturellen Vielfalt.
Wie vertragen sich die (auch) normativ festgelegten Programmaufträge plus Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit mit dem Postulat, ein Programmauftrag sei nach dem Grundgesetz unabhängig von den Gesetzmäßigkeiten des Marktes zu erfüllen? (S. 138f.) Wie kann das mit Haushalts- und Bilanzausgleichsgeboten noch zusammenpassen?
Mag auch der prozentuale Sendezeitanteil der Fußballberichterstattung sich in Grenzen halten – die Forschungsfrage der Arbeit geht dahin, ob der damit relevante ökonomisch bedeutendste Programmanteil der Sender noch der Verfassung entspricht. Die Studie mündet in der diskussionswürdigen Wertung, dass ein verfassungsrechtlich zu beanstandendes Ausmaß von Live-Fußball de lege lata noch nicht erreicht sei (S. 140).
Auffallend ist, dass nach dieser Analyse eine präzisierende Kontur von Grundversorgung und Funktionsauftrag zur Bestimmung von Ausmaß und Umfang von Fußballberichterstattung fehlt. Dass Live-Übertragungen als Angebotsform innerhalb des Rundfunkauftrags liegen, erscheint als eine eher banal zutreffende Einsicht zugunsten gesellschaftlich und rechtlich akzeptierter Daseinsberechtigung und Zuschauerwünschen.
Das weite Ermessen der Sender wird jedenfalls durch das hier präsentierte Verfassungsverständnis zu Art. 5 GG nicht wesentlich tangiert oder eingehegt. Die Ergebnisse werden am Ende in zwanzig Thesen komprimiert.
Es bleibt die Frage, ob die notwendige Widerspiegelung der „gesamten Bandbreite an Unterhaltung, Information und Kultur“ in Vielfalt und Ausgewogenheit - weitgehend ungehemmt durch die in der Arbeit herangezogenen Normen des Verfassungs- und Medienstaatsvertragsrecht und der Normen zur Kurzberichterstattung - primär den publizistischen Entscheidungen der Sender überantwortet werden dürften.
Wenn , wie in den Thesen Lundbergs, die Erwerbs- und sonstigen Kosten kein entscheidendes Kriterium sein sollen, sondern eben der unausweichliche hohe „Preis“, den die Gesellschaft für einen „freien und autonomen“ Rundfunk zu entrichten habe, dann entzieht solche rechtliche Reduktion von komplexen Prinzipien wirtschaftlicher und sparsamer öffentlich—rechtlicher Medientätigkeit, die sich aus haushaltsbezogenen Pflichtgebühren speist, jeglicher inhaltlich-sachlichen Überprüfung der Folgen eines ungemein weit gespannten Programmermessens.
Folgen wir dem Autor, dürfen wir das scheinbar weitgehend entscheidungs- und sanktionsfreie Spielfeld mit relativ freien Akteuren im ungleich strukturierten Wettstreit besichtigen – quasi ohne Aufsicht von Schiedsrichtern. Und doch lehrt der Befund, dass es eine allerdings eingeschränkte Rechts- und Fachaufsicht der Länderinstanzen, eine gewisse Grenzziehung durch die KEF jedenfalls im Rundfunkaufwands- und Gebührenrecht und durch kompetente Maßstäbe der Rechnungshöfe von Bund und Ländern gibt – immerhin markante Grenzpfähle und Korrekturmittel mit grundgesetzlicher und föderaler Basis.
Diese Konturen kommen in der stringent durchgehaltenen und scharfsinnig entwickelten Studie zu den normativen Eckpfeilern weniger zum Tragen. Mit der gerne und vielfach herangezogenen Begrifflichkeit der rundfunkrechtlichen „regulierten Selbstregulierung“ wird sich die Berechtigung und Notwendigkeit einer verfassungsrechtlich enger begrenzbaren Rundfunkordnung nicht ersetzen lassen. Mit Art. 5 GG allein lässt sich eine Waffe gegen die Marktverhältnisse nicht schmieden.
Die gegen eine Kritik an überbordender Sportrechts-Erwerbskosten eingesetzten bisherigen „Selbstverpflichtungen“ der Sender, Produkte hausgemachter Interessen, bleiben, wie man weiß, freilich angesichts der Tendenz, als gebührenfinanzierte Marktteilnehmer im opulenten Quoten-Wettbewerb zu obsiegen, auf der Strecke.
Im Kampf um die Gunst des Zuschauers wirkt - wie im sich immens steigernden Kreislauf von Ablösemillionen für Spieler und Trainer – das Verfassungsrecht schwerlich als schützende Bandage. Hier regieren die „Gesetze“ der Quantitäten des Aufwands nebst dem „symbolischen Kapital“ der Einschaltquoten als erwünschter „Profit“ im Wettlauf um mediale Aufmerksamkeiten.
Düsseldorf Albrecht Götz von Olenhusen