Klosterlandschaft Niedersachsen, hg. v. Reitemeier, Arnd
Nach dem bisherigen Wissen des Menschen unterscheidet er sich von den anderen Lebewesen auf dem Planeten Erde dadurch besonders, dass neben den körperlichen Gegebenheiten geistige Fähigkeiten für ihn stärker prägend sind als für alle anderen bekannten Lebensformen, ohne dass deren Entstehung bisher in allen Einzelheiten nachverfolgt werden konnte. In diesem Rahmen spielt die Kultur eine entscheidende Rolle und dabei wiederum die Religion, die allen anderen Lebewesen wohl fehlt und deren Anfänge vielleicht seit vielen Jahrzehntausenden in Totenkulten sichtbar sein könnten. Innerhalb der Religion ist vor allem für Europa, aber auch weit darüber hinaus das von Jesus Christus in dem Orient vor fast zweitausend Jahren gestiftete Christentum von besonderem Gewicht, dessen Anhänger ihre Vorstellungen auch in eigenen Gebäuden wie Kirchen und Klöstern gepflegt haben, weswegen sich mit der Ausbreitung des Christentums über Jerusalem und Palästina hinaus in das Weltreich der Römer, das weitere Europa und letztlich große Teile der gesamten Welt christliche Glaubensstätten auch nördlich und östlich des einstigen Limes entwickelt haben, die selbst in der Gegenwart noch einen wichtigen Teil des geistigen Erbes der Deutschen bilden, dessen Pflege ein hohes Anliegen auch der universitären Wissenschaft sein soll und bleiben muss.
Von daher ist es außerordentlich erfreulich, dass von dem 6. bis zu dem 8. Februar 2020 in dem Klosterhotel Wöltingerode eine Tagung stattfinden konnte, deren für die Drucklegung geringfügig überarbeitete Beiträge einerseits den Stand der Forschung knapp ein Jahrzehnt nach den Erscheinen des 2012 von dem Institut für historische Landesforschung der Universität Göttingen herausgegebenen Niedersächsischen Klosterbuchs aufzeigen und andererseits die Forschungsperspektiven zu der Klosterlandschaft Niedersachsen unter bewusster Einbindung verschiedener Disziplinen ausloten. Sein Herausgeber ist der in Göttingen 1967 geborene, in Göttingen und St. Andrews von 1986 bis 1992 in Geschichte, Anglistik, Politikwissenschaft und Pädagogik ausgebildete, nach dem ersten Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien und freier Mitarbeit an dem Deutschen Historischen Museum Berlin und einem Forschungsaufenthalt in England bei Hartmut Boockmann über Außenpolitik im Spätmittelalter promovierte und nach einer Tätigkeit als wissenschaftlicher Assistent Heinrich Dormeiers in Kiel 2002 über Pfarrkirchen in der Stadt des späten Mittelalters habilitierte und seit Oktober 2008 als Nachfolger Ernst Schuberts in Göttingen tätige Arnd Reitemeier. Er hat die einundzwanzig Einzelbeiträge zu einer beeindruckenden Sammlung zusammengefasst.
An deren Spitze steht eine gewinnende Einführung mit Rückblick und Perspektiven der Forschung zu der Klosterlandschaft Niedersachsen. Dem folgen bestmöglich gebündelt Studien über geistliche Landschaften in Niedersachsen, Ordenslandschaften, das Klosterbuch aus kunsthistorischer Sicht, eine archäologische Perspektive, die Bedeutung von Reliquien und Wallfahrten, Klöster und Bildung, Bibliotheksbestände samt Aspekten der Materialität, Wirtschafts- und Rechnungsbücher, das Verhältnis von Konvent und Adel, die Stifterfamilien, den landsässigen Adel, die Pröpste in Frauenklöstern, die Klöster und Bischofe, die Beginen, den Landesausbau in dem welfischen Herrschaftsbereich, die klösterlichen Stadthöfe, die Lohnarbeit im Umfeld der Zisterzienserklöster, die Bettelorden, Stiftungen und Renten sowie über Auflösung und Nachleben von Klöstern in den welfischen Territorien. Den vielfältigen, durch Abbildungen und Karten bereicherten Band beschließt statt eines Sachregisters ein alphabetisch geordnetes Verzeichnis der Autorinnen und Autoren von Thorsten Albrecht bis Gabriel Zeilinger, denen für Erkenntnisse und Anregungen in der Hoffnung auf eine weitere Verwirklichung des unter strahlendem Winterhimmel das offen einladende Torhaus und die Klosterkirche Wöltingerode wiedergebenden Titelbildes in künftigen Forschungen und Tagungen schon jetzt sehr zu danken ist.
Innsbruck Gerhard Köbler