Zhong, Hao, Die Testamentsfähigkeit im römischen Recht.
Die Abhandlung wurde im Sommersemester 2021 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Doktorarbeit angenommen. Erstgutachter war Martin Avenarius. Die Verfasserin widmet sich einer Sentenz des spätklassischen Juristen Papinian aus dem 14. Buch seiner Quaestiones, die in den Digesten überliefert ist: D. 28,1,3. Der Satz wird im Untertitel der Arbeit zitiert. Das Thema der Abhandlung ist die Testierfähigkeit, das heißt das Recht, ein Testament zu errichten, als Zeuge bei einer Testamentserrichtung mitzuwirken oder in einem Testament durch ein Vermächtnis bedacht zu werden.
Nach einer Einführung ins Thema und der Darstellung des Forschungsstandes (S. 1–16) wendet sich die Autorin den beiden zentralen Begriffen des Satzes zu: ius publicum und ius privatum (S. 17–55). Zunächst referiert und kritisiert sie in der Literatur vertretene Ansichten zum Inhalt der beiden Begriffe. Auf dieser Grundlage stellt sie fest, dass zwei mögliche Bedeutungen in Betracht kommen: Entweder seien die Begriffe mit den modernen Begriffen des Öffentlichen Rechts und des Privatrechts vergleichbar oder das ius publicum beziehe sich auf Normen, das heißt die Rechtsordnung insgesamt, aber auch einzelne Normen, einschließlich solcher, die private Verhältnisse betreffen, während das ius privatum „die privaten Rechtsverhältnisse bezeichnet, die die privaten Personen im Rahmen des von Normen erlaubten Umfangs selbst schaffen können und die eine in bestimmter Weise gesetzesähnliche Wirkung zwischen den Parteien haben.“ (S. 28). Das ius privatum ist dann das Recht, das durch Ausübung der Privatautonomie geschaffen wurde. Die zweite Möglichkeit erscheint der Verfasserin plausibler. Das ius publicum sind demnach allgemeine Normen, und zwar auch solche, die sich auf private Verhältnisse beziehen. Das ist die Hypothese, die sie an den Quellen überprüfen möchte.
Die Verfasserin untersucht die einschlägigen Äußerungen Papinians und des (jüngeren, mit Papinian professionell verbundenen) Ulpian. Sie interpretiert fünf Papinianstellen (S. 35–43) und kommt zu dem Ergebnis, dass Papinian den Terminus ius publicum auf Normen bezieht, auch solche, die private Verhältnisse betreffen. Zum gleichen Resultat gelangt sie durch Interpretation mehrerer Ulpiantexte (S. 43–55). Besonders widmet sich die Verfasserin einer Äußerung Ulpians (D. 1,1,1,2), die eine Definition der untersuchten Begriffe zum Inhalt hat. Der Jurist stellt fest, dass sich das Recht entweder am öffentlichen oder am privaten Interesse orientiert. Außerdem führt Ulpian drei Bereiche an, auf die sich das ius publicum bezieht: den Kult, die Priesterschaften und die Magistraturen. Das ius privatum bestehe aus dem ius naturale, dem ius gentium und dem ius civile. Die Verfasserin hält das Kriterium des Interesses für schwierig. „Denn alle Normen als allgemeine Rechtsregeln betreffen mehr oder weniger das öffentliche Interesse, auch wenn sie private Angelegenheiten betreffen.“ (S. 46f.) Insgesamt sei die Definition Papinians „zweideutig“ (S. 47). Am Ende ihrer Betrachtung von D. 1,1,1,2 stellt die Verfasserin fest: „Trotzdem entspricht unsere Hypothese ebenso der Definition des ius privatum in dieser ulpianischen Quelle.“ (S. 47) Die als „unsere Hypothese“ bezeichnete Auffassung bezieht sich auf die Definition, wonach das ius publicum allgemeine Normen umfasst, während das ius privatum die privaten Rechtsverhältnisse meint. Am Ende ihrer Untersuchungen der ulpianischen Rechtsquellen konstatiert die Verfasserin. „Abgesehen von dem möglicherweise inkonsequenten Gebrauch in Ulp. 1 inst. D. 1,1,1,2, ist anzunehmen, dass Ulpian die Ausdrücke ius publicum und ius privatum (…) jeweils im Sinne der allgemeinen Rechtsnormen und der privaten Rechtsverhältnisse verwendete.“ (S. 54)
Anschließend wendet sich die Verfasserin der testamenti factio zu (S. 57–114). Danach wurde die Testierfähigkeit im Lauf der Jahrhunderte immer wieder modifiziert, und zwar im Interesse des römischen Gemeinwesens. So verfügte Augustus, um nur ein Beispiel anzuführen, dass testierfähig nur Männer waren, die heirateten und Kinder hatten. Das Ziel bestand darin, das römische Gemeinwesen durch Vergrößerung der Bevölkerung zu stärken. Insgesamt kennzeichnet die Verfasserin die Modifikationen der testamenti factio mit der Feststellung, der Zweck dieser Regelungen beziehe sich mittelbar oder direkt immer auch auf das römische Gemeinwesen.
In einem Schlussabschnitt (S. 115–118) konstatiert die Verfasserin, die Errichtung eines Testaments sei nicht nur als ein privater, vermögensrechtlicher Akt qualifiziert worden, sondern auch als ein Akt, der über die jeweilige Familie oder einen engeren Personenkreis hinaus das Gemeinwesen betroffen habe. In diesem Zusammenhang geht die Verfasserin erneut auf die Ulpian-Stelle D. 1,1,1,2 ein und stellt fest, wenn es bei Ulpian heiße, das ius publicum diene dem öffentlichen Interesse, so zeige sich dies gerade am Beispiel der testamenti factio (S. 117).
Eine nützliche Zusammenfassung (S. 119–122), ein Literaturverzeichnis (S. 123–138) und ein Quellenverzeichnis (S. 139–143) beschließen die Arbeit.
Die Darlegungen der Verfasserin zur Unterscheidung zwischen ius publicum und ius privatum bei Papinian und Ulpian sind problematisch. Drei mögliche Unterscheidungsmerkmale sollten in Betracht gezogen werden: die Unterscheidung nach dem Urheber des Rechts, nach seinem Gegenstand und nach dem Interesse. Was den Urheber betrifft, so ist dies entweder der Staat, der für alle verbindliche Normen schafft (ius publicum), oder es sind Privatpersonen, die von ihrer Privatautonomie Gebrauch machen und dadurch Recht erzeugen, das allein zwischen ihnen gilt (ius privatum). Was die Unterscheidung nach dem Gegenstand des Rechts betrifft, so kommen öffentliche oder private Angelegenheiten in Betracht. Das dritte Kriterium sind die Interessen oder Zwecke, also öffentliche oder private Interessen. Ulpians Definition (D. 1,1,1,2) ist klar und deutlich: Das maßgebliche Unterscheidungskriterium ist das Interesse.
Eine Norm, die eine öffentliche Angelegenheit betrifft, wird zwar immer auch einem öffentlichen Interesse dienen; eine Norm, die private Angelegenheiten regelt, kann aber ebenfalls im öffentlichen Interesse bestehen. Dies zeigen die von der Verfasserin untersuchten Texte, zum Beispiel die Fragmente Papinians, die sich auf das Exkusationsrecht des Tutors beziehen (S. 35 ff.): Die Einsetzung eines Tutors dient einem öffentlichen Interesse; ebenso die rechtlich vorgesehene Möglichkeit, sich der Pflicht ausnahmsweise zu entziehen. Die von der Verfasserin untersuchten Texte Papinians und Ulpians setzen voraus, dass eine Norm auch dann zum ius publicum gehört, wenn sie sich zwar auf private Verhältnisse bezieht, aber einem öffentlichen Interesse dient. Einzuräumen ist, dass die von der Verfasserin untersuchten Stellen auch so verstanden werden können, dass das ius publicum als eine allgemeine Norm erscheint, die private Verhältnisse regelt. Angesichts der klaren Definition Ulpians (D. 1,1,1,2) ist aber anzunehmen, dass Papinian und Ulpian nach dem Interesse unterscheiden.
Was speziell die im Zentrum der Untersuchung stehende Papinianstelle D. 28,1,3 angeht, so betrifft die Errichtung eines Testaments nicht (nur) private Vermögensangelegenheiten; die Regelung der Testierfähigkeit ist vielmehr auch eine Frage von öffentlichem Interesse. Daher betont Papinian, die Regelung der Testierfähigkeit gehöre nicht zum ius privatum, sondern zum ius publicum. Der Jurist unterscheidet die beiden Rechtsbereiche nach dem Interesse. Am Ende ihrer Arbeit setzt die Verfasserin selbst voraus, dass die Unterscheidung in D. 28,1,3 nach dem Interesse vorgenommen wird, wenn sie aufgrund der historischen Entwicklung der Regelungen zur Testierfähigkeit konstatiert, die testamenti factio sei vielfach modifiziert worden, und zwar im öffentlichen Interesse, sodass „sie gerade dieser Definition entspricht“, nämlich der von Ulpian vertretenen Definition des ius publicum als des im öffentlichen Interesse geschaffenen Rechts (S. 117). Die Äußerung ist zutreffend, jedoch mit der zuvor (S. 54) getroffenen Feststellung unvereinbar: „Die testamenti factio beruht nicht auf den privaten Rechtsverhältnissen, sondern auf Normen des objektiven Rechts.“ Hier setzt die Verfasserin voraus, dass sich ius publicum und ius privatum nicht nach dem Interesse, sondern nach dem Urheber des Rechts unterscheiden.
Was die Arbeit insgesamt betrifft, so ist das Thema genau umrissen und gut gewählt. Die Abhandlung ist übersichtlich aufgebaut und flüssig geschrieben. Aufschlussreich ist die Darstellung der historischen Entwicklung der testamenti factio. Insofern bietet die Abhandlung einen nützlichen Einstieg in die Materie.
Heidelberg Hans-Michael Empell