Seuchenbekämpfung, Wissenschaft und Unternehmensstrategien.

Die Behringwerke und die Philipps-Universität Marburg im 20. Jahrhundert, hg. v. Kleinschmidt, Christian (= Quellen und Forschungen zur Hessischen Geschichte 187). Selbstverlag der Hessischen Historischen Kommission Darmstadt und der Historischen Kommission für Hessen, Marburg 2021. 284 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

Der Mensch versucht seit seiner Entstehung in den ihm offenen Umweltbedingungen seinen Willen zu verwirklichen und nicht nur seine Umwelt zu nutzen, sondern sie auch zu seinem Vorteil und nach seinen Vorstellungen zu gestalten. In diesem Rahmen haben seine Fähigkeiten seine Möglichkeiten so ausgeweitet und vermehrt, dass die Zahl seiner Individuen bis zu der Gegenwart immer weiter angestiegen ist und voraussichtlich weiter zunehmen wird. Dies hat eine früher kaum vorstellbare Verdichtung bewirkt, die früher ebenfalls wenig wahrscheinliche Gefahren weltweit wirkender Seuchen mit sich gebracht hat, wie sie derzeit jedermann selbst an dem Beispiel des Coronavirus mit eigenen Augen sehen kann.

 

Auf der Grundlage dieser Gegebenheiten ist der vorliegende informative Band entstanden, dessen Herausgeber nach dem Studium von Geschichte und Sozialwissenschaften an der Universität Bochum 1992 an seiner Heimatuniversität mit einer Dissertation über Rationalisierung als Unternehmensstrategie an dem Beispiel der Eisen- und Stahlindustrie des Ruhrgebiets zwischen Jahrhundertwende und Weltwirtschaftskrise promoviert und auf der Grundlage seiner 1999 vorgelegten Habilitationsschrift über den produktiven Blick – Wahrnehmung amerikanischer und japanischer Management- und Produktionsmethoden durch deutsche Unternehmer 1950-1985 - über Lehraufträge und Lehrstuhlvertretungen sowie eine Professur für neuere Geschichte mit dem Schwerpunkt Zeitschichte an der Universität Paderborn 2009 für Wirtschaftsgeschichte und Sozialgeschichte der Universität Marburg berufen wurde. Er selbst bietet in der Einleitung die Geschichte der Behringwerke als ein interaktives und multidisziplinäres Projekt seiner Universität. Dreizehn weitere, an dem Ende aufgelistete Autorinnen und Autoren füllen diesen weitgespannten Rahmen weiterführend aus.

 

Dabei beginnt Ulrike Enke mit dem Wissenschaftler, Hochschullehrer und Unternehmer Emil von Behring (1854-1917) und vertieft ihre biographische Betrachtung durch die kaufmännischen Sinn und Geist der Medizin verknüpfende Darstellung der Gründungsgeschichte der Behringwerke Bremen und Marburg GmbH. Daneben werden etwa die Organisation der medizinischen Forschung der Behringwerke zwischen 1918 und 1929, medizinische Experimente zur Erprobung von Seren und Impfstoffen, die Erinnerungsfeier an dem 50. Jahrestag der Erstveröffentlichung Emil von Behrings über das Diphtherie- und Tetanusheilserum, das Lemberger Behring-Institut für Fleckfieberforschung, die Entflechtung und Eingliederung in die Hoechst AG, die ständige Emil-von-Behring-Ausstellung zur gesundheitlichen Volksbelehrung, die Werbung der Behringwerke und der Wandel deutscher Impfprogramme 1930-1970, die Vorgeschichte globaler Gesundheitssicherheit, das Marburg-Virus von einem Ausbruch bei den Behring-Werken, eine Tätigkeit als Hochschullehrer in dem Aufsichtsrat der Behringwerke AG und der Industriepark Behringwerke untersucht. Eine Reihe schwarz-weißer Abbildungen veranschaulicht die vielfältigen Ausführungen des auf der hinteren Umschlagseite Emil von Bering (!) als den ersten Nobelpreisträger für Medizin und zusätzlich Bering (!) als Hochschullehrer und Unternehmer rühmenden verdienstvollen Werkes, die vielleicht auch durch ein Register sachlich aufgeschlossen hätten werden können.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler