Helmut Kramer – Richter. Mahner. Streiter,

hg. v. Hankel, Gerd/Böttcher, Ernst/Kramer,Christian u. a. Ossietzky Verlag, Dähre 2022. 88 S., Abb. Besprochen von Albrecht Götz von Olenhusen. ZIER 12 (2022) 82. IT

An das „kommunikative Beschweigen“ der Vergangenheit (Hermann Lübbe) hat sich Helmut Kramer, 1930 geborener Oberlandesgerichtsrat, Zeit seines Lebens nie gehalten. Er verstieß gegen ein fatales Tabu: die NS-Zeit nur mit der „nüchternen Distanz eines Insektenkundlers“ (Ingo Müller) zu betrachten. Wie Helmut Kramer rechtswissenschaftliche, rechtshistorische Forschung mit richterlicher Praxis mitsamt eminent sozialer und politischer Züge sozusagen als ein sich immer wieder zu Wort meldender Rebell im Dienste der Aufklärung über vergangenes und weiterlebendes Unrecht integrierte, zeigt Hans-Ernst Böttcher in dieser Dokumentation eines Kolloquiums zum 90. Geburtstag des Jubilars treffend auf: am Beispiel des belasteten Richters in dem Bundesverfassungsgericht Willi Geiger habe Kramer die „Linien der Kontinuität von der NS-Justiz in die Justiz der Bundesrepublik Deutschland“, die personellen und die inhaltlichen Linien offenbart. Kramer scheute sich nicht, die Namen der von ihm wegen ihrer beschwiegenen oder verleugneten Vergangenheit kritisierten Persönlichkeiten, nun wieder in hohen Amt und Würden, zu nennen.

 

In Vorträgen, Diskussionsbeiträgen und Dialogen zeichnen Autoren, Freunde und Gefährten den exzeptionellen Weg seines unablässigen, gegen alle offiziellen, offiziösen und persönlichen Angriffe, gegen alle Widerstände durchgehaltenen engagierten Lebenswerks nach: „an der Frontlinie von Recht und NS-Vergangenheit“ (Annette Weinke), als Exponent radikaler Aufklärung über „Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte als Gehilfen der NS-'Euthanasie'“ (Claudia Fröhlich). Helmut Kramer, der eher durch Zufall von der Anklageschrift des Generalstaatsanwalts Fritz Bauer gegen drei Dutzend ehemalige NS-Spitzenjuristen (1965) erfahren und den Skandal der nach Bauers Tod stillschweigend erfolgten Niederschlagung des Verfahrens öffentlich gemacht hatte, musste sich neben heftigen Anfeindungen aus Kreisen eigener Standesgenossen auch mit gravierenden persönlichen Angriffen und juristischen Klagen auseinandersetzen.

 

Die eindrucksvolle unnachahmliche Vita eines streitbaren ,immer aufrechten Juristen ist charakterisiert durch permanente Plädoyers für eine kritische juristische Zeitgeschichte, welche sich vornehmlich damit befasst, wie Täter und Gehilfen von Machthabern das Unrecht verrechtlichten, „vor dem Terror eine Legitimitätsfassade“ (Kramer) errichteten. Als warnende Lehren für Gegenwart und Zukunft.

 

Die Zivil-Richter des Oberlandesgerichts Frankfurts zwischen 1933 und 1945 als willige Vollstrecker oder standhafte Richter stellt Georg D. Falk in einer neuen Studie vor. Sie schließt an zahlreiche Vorarbeiten Kramers an. Deren Tiefe und Reichweite wird in der Bibliografie seiner Schriften (S. 61-67) bekräftigt. Mit Wolfram Wette kämpfte Kramer gegen versäumte Aufarbeitung der Wehrmachtsjustiz, für Pazifisten und Deserteure im Visier der Justiz. Die markanten Erfolge, aber auch manche Rückschläge im immerwährenden Kampf um das Recht und um eine hohen Ansprüchen entsprechende Gedenkkultur (Frank Werneke), sind in diesen sorgfältigen Dokumenten eines Kolloquiums für einen Freund und vorbildlichen Streiter für Gerechtigkeit, für vorurteilslose Betrachtung von Justizgeschichte nachzulesen.

 

Düsseldorf                                                      Albrecht Götz von Olenhusen