Helsper, Wolfgang, Nationalsozialistische Vergangenheit im Parlament –
Als Adolf Hitler an dem 30. Januar 1933 von dem Reichspräsidenten des Deutschen Reiches zu dem Reichskanzler ernannt wurde, änderte sich die politische Lage grundlegend. Der Nationalsozialismus wechselte von der langen Opposition in die Herrschaft. Seine Anhänger konnten bestimmen und die Betroffenen mussten sich fügen, wobei mit dem Untergang Adolf Hitlers sich erneut die Fronten änderten und die nationalsozialistische Vergangenheit zu einer Belastung wurde, von der sich ihre Anhänger nach Möglichkeit zu befreien oder zu entlasten suchten.
Mit einem Teilbereich dieser Problematik beschäftigt sich die vorliegende Untersuchung, die als Idee nach einer in dem März 2013 in dem Hessischen Landtag abgehaltenen Fachtagung über die nationalsozialistische Vergangenheit ehemaliger Abgeordneter entstand und insbesondere an die dort von Albrecht Kirschner vorgestellten Überlegungen anschließt. Das in der Folge von Dirk van Laak grundlegend gestaltete und von Anne Christine Nagel betreute, an dem Anfang des Jahres 2020 von dem Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaft der Universität Gießen als Dissertation angenommene Vorhaben gliedert sich nach einem Tabellen- und Diagrammverzeichnis und einer kurzen Einleitung in fünf Abschnitte. Sie betreffen den politischen Neuanfang in Hessen nach dem Zweiten Weltkrieg, die nationalsozialistische Vergangenheit in der hessischen Landespolitik, Formen der Abgrenzung von der nationalsozialistischen Vergangenheit (politische Distanzierung, anfänglich strenge Haltung im Umgang mit den belasteten Menschen, argumentativer Gebrauch auf politischer Ebene), den gesetzlichen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und Formen einer kritischen Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit.
Nach dem Ergebnis des Verfassers war zunächst vielfach eine umfassende Distanzierung von dem Nationalsozialismus festzustellen und die Toleranzgrenze gegenüber auftretenden nationalsozialistischen Erscheinungen niedrig. Insgesamt aber war der Themenkomplex der nationalsozialistischen Vergangenheit in dem untersuchten Zeitraum in dem parlamentarischen Alltag der Abgeordneten durchweg präsent, wobei einerseits in dem Parlament eine generelle Toleranz und Akzeptanz gegenüber den Abgeordneten mit einer früheren, von den Spruchkammern aber entsprechend günstig beurteilten Verbindung zu dem nationalsozialistischen Regime herrschte, andererseits aber Landesregierung und Sozialdemokratische Partei Deutschlands in ihrem Bemühen, die politische Belastung auch über eine kriminelle Schuld hinaus kritisch herauszustellen, nicht nachließen, weshalb der oft geforderte Schlussstrich nicht gelang. In dem Anhang der wichtigen Arbeit werden drei Listen der (rund 100) nationalsozialistische belasteten Abgeordneten von Arndt bis Zink, der formell belasteten Abgeordneten von Arndt bis Zink und (deutlich kürzer) der aktivistisch belasteten Abgeordneten von Braun bis Ziegler geboten, auf deren Grundlage der interessierte Leser zu den Einzelheiten der auch in der Grundlegung bedeutenden Arbeit vordringen kann.
Innsbruck Gerhard Köbler