Decker, Rainer, Die Päpste und die Hexen

. Aus den geheimen Akten der Inquisition. Primus, Darmstadt 2003. 184 S. Besprochen von Harald Maihold.

Decker, Rainer, Die Päpste und die Hexen. Aus den geheimen Akten der Inquisition. Primus, Darmstadt 2003. 184 S.

 

Schweigen nährt Gerüchte. Ein Beispiel für diese Wahrheit bietet das Archiv der Kongregation für die Glaubenslehre der römisch-katholischen Kirche, der Nachfolgerin des 1542 gegründeten Heiligen Offiziums der Inquisition. Jahrhundertelang war der Öffentlichkeit der Zugang zu dieser Sammlung versagt. Das Bild, das die Öffentlichkeit sich von der römischen Inquisition schuf, basierte daher vielfach auf Mutmaßungen und dunklen Gerüchten. Seit 1998 ist nun dieses Archiv - mit Einschränkungen für die jüngste Vergangenheit - der Forschung zugänglich. Unter den ersten, die das Archiv betreten durften, war Rainer Decker. Der Studiendirektor aus Paderborn ist bereits mit einer Reihe von Publikationen zur römischen Inquisition und zur Hexenverfolgung hervorgetreten.

 

Die vorliegende Publikation untersucht die Stellung der Päpste und der römischen Inquisition, die meist vom Papst persönlich geleitet wurde, zur Hexenverfolgung. Das erste Drittel widmet sich den Grundlagen und den Anfängen der Hexenverfolgung im Mittelalter, insbesondere im 14. und 15. Jahrhundert (S. 11ff.), die anderen zwei Drittel der zunehmenden Vorsicht und Kritik in der Neuzeit (S. 67ff.). Wie der Untertitel verspricht, werden auch Akten aus dem Inquisitionsarchiv verarbeitet. Der erste Hinweis auf die neu zugänglichen Akten findet sich allerdings erst auf Seite 78. Es geht dem Autor nicht um die Bekanntmachung „geheimer Akten“, sondern um eine Gesamtdarstellung des Verhältnisses der Päpste zu den Hexenverfolgungen.

 

Deckers These zufolge, die sich durch das ganze Buch zieht, waren die Päpste mit wenigen Ausnahmen (Paul IV.) im Hinblick auf das Hexereidelikt sehr vorsichtig. Im Gegensatz zu Theologen und Juristen nördlich der Alpen hatte die römische Inquisition insbesondere niemals den angeblichen Flug der Hexen und die Feier des Hexensabbats als reale Begebenheiten anerkannt, sondern diese der Täuschung des Satans zugeschrieben. Dementsprechend wurde die „Besagung“ (Denuntiation) einer Angeklagten durch andere „Hexen“ allein nicht als hinreichend für die Folter angesehen.

 

Die vorsichtige Haltung Roms musste freilich erst erkämpft werden. Als um 1500 die Hexenverfolgung in den Alpenländern zunahm, war es das Verdienst Venedigs, die Realität von Hexenflug und Hexensabbat geleugnet und die Verfahren gegen den Widerstand der römischen Inquisition eingedämmt zu haben (S. 61ff.). Dass die vorsichtige Haltung sich aber auch noch im 16. Jahrhundert hielt, als nördlich der Alpen die großen Verfolgungswellen begannen, führt Decker auf den Juristen Andrea Alciati zurück, der seinerseits auf den Inquisitor Giulio Monterenzi, den Experten des Heiligen Offiziums für Hexenfragen, in dessen Studienzeit in Bologna einen maßgeblichen Einfluss ausgeübt habe (S. 93). Monterenzi ist der Schöpfer einer „Hexenprozessinstruktion“, die das Verfahren bei Hexereidelikten vor der Inquisition regelte und unter den zuständigen Inquisitoren zuerst in Manuskripten im Umlauf war, bis sie 1657 gedruckt wurde. Diese Instruktion, Zeugnis der vorsichtigen Stellung Roms gegenüber Hexenflug und Hexensabbat, ist bisher in der Hexenforschung viel zu wenig Beachtung geschenkt. Statt dessen wurde immer auf den „Hexenhammer“ von Institoris aus dem Jahr 1487 verwiesen, der aber nicht von Rom autorisiert war. Die ihm zugrundeliegende „Hexenbulle“ Papst Innozenz‘ VIII. von 1484 konzentriert sich selbst ganz auf den Schadenszauber und stützt die Realität von Hexenflug und Hexensabbat in keiner Weise (S. 47ff.).

 

Die restriktive Linie ersparte dem Kirchenstaat, Italien ebenso wie Spanien, wo die Inquisition ähnlich verfuhr, die nördlich der Alpen, insbesondere in Mitteldeutschland grassierenden Massenhinrichtungen. Im Heiligen Römischen Reich hatte Rom hingegen seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts keinen unmittelbaren Einfluss mehr auf die Hexenverfolgung. Diese war Sache der weltlichen und geistlichen Obrigkeiten vor Ort. Gelegentliche Interventionen des Papstes blieben oft ohne Erfolg, da die Länder auf ihre Souveränitätsrechte bedacht waren. Dagegen hinderte die Ablehnung von Hexenflug und Hexensabbat Rom nicht an der Verfolgung „realer“ Fälle von „Hexerei“: Schadenszauber, Wahrsagerei, Hostienfrevel, selbst Astrologie und Nekromantie (Toten- und Dämonenbeschwörung), verbunden mit dem Versuch, den Papst durch einen zauberischen Anschlag zu ermorden („Anschläge“ auf Johannes XXII, S. 29ff., und Urban VIII, S. 109ff.), wurden bis zuletzt auch von Rom heftig bekämpft. Aber hier handelte es sich, wie Decker zu bedenken gibt, nicht um imaginäre Delikte, sondern um tatsächlich sozialschädliches Verhalten, dessen Bekämpfung systemstabilisierend wirkte.

 

Deckers gelungene Untersuchung wirft ein gleichermaßen helles wie mildes Licht auf die Geschichte der Hexenpolitik der Päpste und ihrer Inquisition, die leider auch heute noch durch zahlreiche weniger wissenschaftliche, dafür umso tendenziösere Publikationen verdunkelt wird.

 

Basel                                                                                                             Harald Maihold