Die älteste Landshuter Universitätsbeschreibung

von Franz Dionys Reithofer (1811). Gelehrter Fleiß – oder „Geistesplumpheit“. Dokumentation, hg. v. Böhm, Laetitia, mit einem Beitrag v. Egner, Heinrich, (= Ludovico Maximilianea, Quellen 3). Duncker & Humblot, Berlin. 222 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

Die älteste Landshuter Universitätsbeschreibung von Franz Dionys Reithofer (1811). Gelehrter Fleiß – oder „Geistesplumpheit“. Dokumentation, hg. v. Böhm, Laetitia, mit einem Beitrag v. Egner, Heinrich, (= Ludovico Maximilianea, Quellen 3). Duncker & Humblot, Berlin. 222 S.

 

Landshut ist zwar nur eine kurze Zwischenstation der 1472 in Ingolstadt eröffneten Universität auf ihrem Weg nach München, doch bietet die in höchstens dreizehn (oder vierzehn?) Exemplaren erhaltene Universitätsbeschreibung Franz Dionys Reithofers so unmittelbare Einblicke in eine universitäre Seele (des frühen neunzehnten Jahrhunderts), dass die Herausgeber eine mittelbar von der Universitätsbibliothek in die Universitätsgasse gerichtete verdienstvolle Neuausgabe wagen können. Sie umfasst zum einen das aufschlussreiche Werk selbst. Zum andern klärt sie darüber hinausgreifend dessen eigentümliches, bemerkenswertes Geschick.

 

Nach Reithofers Werk enthält beispielsweise der nach Theologie und vor Kameralismus und Medizin angesiedelte, von etwa der Hälfte aller Landshuter Studenten besuchte, auf einem einjährigen allgemeinwissenschaftlichen Grundkurs aufbauende dreijährige juristische Lehrkursus (im Jahr 1808) als notwendige Lehrfächer die Hauptwissenschaften Enzyklopädie und Methodologie des juristischen Studiums, Philosophie des Rechts oder Naturrecht, Institutionen, Pandekten, deutsches Privatrecht (mit Einschluss des Wechsels- und Handelsrechts, welche in dem Falle, da sie im deutschen Privatrecht nicht vorgetragen würden, besonders zu hören wären), Kriminalrecht, Lehnrecht, Kirchenrecht der Katholiken und Protestanten, Völkerrecht, Staatsrecht des Königreichs Bayern, Zivilrecht der bayerischen Provinzen, gemeiner und bayerischer Zivilprozess, gemeiner und bayerischer Kriminalprozess, ein Praktikum, verbunden mit Relatorium, die Hilfswissenschaften Geschichte und Altertümer des römischen Rechts, europäische Staatengeschichte, Geschichte Deutschlands, gerichtliche Arzneikunde und die staatswirtschaftlichen Studien Landwirtschaftslehre, Staatswirtschaftslehre, Polizeiwissenschaft, Finanzwissenschaft und Statistik sowie als nützliche Lehrgegenstände Hermeneutik oder Theorie der Auslegung, historische Hilfswissenschaften, besonders Diplomatik, Forstwissenschaft, Handlungswissenschaft, Staatskunst, Kameralrechnungskunst, Technologie, mehrere juristische und kameralistische Praktika z. B. Staats- und Kameralpraxis, medizinische Polizei, medizinische Anthropologie und Diätetik, allgemeine Wissenschaftskunde und Ästhetik.

 

Universitätsgeschichtlich eindrucksvoller als diese beispielhaft angeführte objektive Wiedergabe der juristischen Wirklichkeit und vieler anderer interessanter Umstände ist die Wirkung verschiedener eingestreuter kritischer Bemerkungen des in Landshut am 2. April 1767 als drittes von neun Kindern eines Schuhmachers geborenen, 1788 aus Mangel an Mitteln für ein Universitätsstudium als Novize in das Benediktinerkloster Seeon eingetretenen, wenig später nach Kais(ers)heim wechselnden, nach der Säkularisation vom 28. November 1802 mit einer Jahrespension von 450 Gulden nach Landshut zurückgekehrten, zeitweise als Offiziant der Universitätsbibliothek tätigen, im übrigen als geschichtlich interessierter Schriftsteller wirkenden (, in München am 7. August 1819 verstorbenen) Verfassers gegenüber der Universität. Schon während des Druckvorgangs scheint sich ein betroffener Gegner Abzüge des werdenden Buches besorgt zu haben. Kaum war die Schrift am Ende des Monats Mai oder im Beginn des Monats Juni 1811 erschienen, warfen dem Verfasser am 18. Juni 1811 Akademiker (genauer Studenten wahrscheinlich auf Betreiben eines Professors) ihretwegen die Scheiben ein. Ausgelöst wurde dieser Angriff vermutlich durch eine wohl am 17. Juni 1811 in Umlauf gebrachte achtseitige, als Vorabdruck einer Rezension für die Oberdeutsche allgemeine Literaturzeitung gedachte Entgegnung mit der Aufschrift Geistesplumpheit, die im Ergebnis dazu führte, dass Reithofer viele Exemplare in Panik vernichtete und andere obrigkeitlich verboten und eingezogen wurden.

 

Die Gegenschrift wirft hämisch-rhetorisch dem Verfasser vor allem Mangel an Bildung vor. Dabei mutet das Vorgehen streckenweise wie das einer Rezension an und fördert auch gewisse kritische Ergebnisse zu Tage. Doch steckt hinter dieser scheinheiligen Fassade lediglich eine von Vernichtungswillen beseelte üble Schmähschrift, die ohne ernsthafte Beschäftigung mit dem durchaus brauchbaren Inhalt lediglich Reithofer als Wirrkopf, Lügner, Verleumder und Trunkenbold zu diffamieren versucht.

 

Als ihren Verfasser macht Heinrich Egner einen Professor der Landshuter Universität wahrscheinlich. Überzeugend rechnet er ihn der theologischen Fakultät und damit einem ganz kleinen Kreis weniger, als Täter in Betracht kommender Individuen zu. Aus einem zeitgenössischen Wortspiel des Philosophieprofessors Jakob Salat (Und doch zählt jener Winter – Wer kennt ihn nicht?- schon 57 Sommer) ermittelt er ihn als den am 22. Mai 1754 geborenen, für 1811/1812 zum Rektor gewählten Professor Vitus Anton Winter, der auch gegen Salat in paralleler Manier eine unberechtigte Attacke geritten, infolge seines offenbar ausreichenden Einflusses bei Redaktionen und Behörden den Verteidigungsversuch Salats vereitelt und zudem in furiosem, unbezähmbaren und realitätsblinden Hass seinen einstigen Freund durch alle Instanzen gerichtlich verfolgt hatte, aber im Endurteil des obersten Gerichts (als Folge objektiv waltender Gerechtigkeit?) die Feststellung seiner eigenen Injurie hatte hinnehmen müssen.

 

Wer freilich glaubt, ein derartiges akdemisches Geisterspiel hätte es nur in der Vergangenheit und ihrer provinziellen Enge an einer einzigen Fakultät einer einzigen, anscheinend nur oberflächlich aufgeklärten Universität – von der Paul Johann Anselm Feuerbach bei seiner Flucht 1805 geschrieben hatte: aber die Verhältnisse der Professoren sind Verhältnisse von Teufeln, beinahe möchte ich sagen: im eigentlichen Sinn, bei denen Roheit, Sittenlosigkeit, höllische Bosheit, Abgefeimtheit, Niederträchtigkeit, Gemeinheit vorwalten - gegeben, kann sich noch heute leicht eines Besseren belehren lassen. Überall, wo Inzucht, Betrug und Korruption herrschen, werden kleine dumpfe Geister im Dunkel des sie bergenden Sumpfs, in dem sie sich unerkannt glauben, ihre wahren Gesichter enthüllen und danach kollusiv unter menschenrechtstümelnder, akademische Palmen wedelnder Berufung auf hehre Werte alle ihre Machtmittel von Rezensionen und Redaktionen bis zu Behörden und Gerichten missbrauchen, um sich sachlicher Kritik an ihren mit Händen greifbaren Lebenslügen und Leistungsblößen zu entziehen. Durch solche Machenschaften darf sich – wie die Ausgabe noch nach fast zweihundert Jahren beispielhaft zeigt - die Wahrheit als die Grundlage der Freiheit im Interesse der die Einrichtung tragenden Allgemeinheit aber in keiner Weise von ihrem Ziel abbringen lassen.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler