Suche nach Frieden

. Politische Ethik in der frühen Neuzeit, hg. v. Brieskorn, Norbert/Riedenauer, Markus, Bd. 3 (= Theologie und Frieden 26). Kohlhammer, Stuttgart 2003. 441 S. Besprochen von Karl-Heinz Ziegler.

Suche nach Frieden. Politische Ethik in der frühen Neuzeit, hg. v. Brieskorn, Norbert/Riedenauer, Markus, Bd. 3 (= Theologie und Frieden 26). Kohlhammer, Stuttgart 2003. 441 S.

 

1. Den beiden im vorigen Jahrgang dieser Zeitschrift vorgestellten Sammelbänden zur frühneuzeitlichen Friedensethik1 ist rasch, wiederum von Norbert Brieskorn und Markus Riedenauer herausgegeben, der abschließende Band III gefolgt. Wie in den voraufgegangenen Bänden unterrichten die Herausgeber in einer ausführlichen Einleitung vorzüglich über den reichhaltigen Inhalt, „Differenzierungen der politisch-ethischen Diskurse zu religiöser, inner- und zwischenstaatlicher Koexistenz“ (9-33). Die insgesamt dreizehn Beiträge sind thematisch in vier Gruppen gegliedert.

 

2. Die ersten drei Arbeiten erscheinen unter dem Titel „Politische Herrschaft und religiöse Toleranz“ (35-115).

 

Zuerst gibt der Philosophiehistoriker Wilhelm Schmidt-Biggemann (Berlin) eine ideengeschichtliche Tour d’horizon unter dem Titel „Souveränität, Toleranz, Widerstand. Skizzen zu politischen Aporien aus dem konfessionellen Zeitalter“ (37-54). Der schon im Spätmittelalter heftige Gegensatz zwischen geistlichen und weltlichen Gewalten wird an Marsilius von Padua verdeutlicht. Zugleich hebt der Verfasser treffend die Verschärfung der Konflikte nach der Glaubensspaltung im Abendland hervor. Die Souveränitätslehre Jean Bodins († 1596) wird als Gegenposition zu den sogenannten Monarchomachen gewürdigt (47ff.), ebenso zu Johannes Althusius († 1638).

 

Der Kulturwissenschaftler Hans-Rüdiger Schwab (Münster) widmet seinen Beitrag einem im 20. Jahrhundert als aktuell wiederentdeckten frühen Vordenker der Toleranz, dem aus Savoyen stammenden reformierten Gegner Calvins, Sebastian Castellio (1515-1563): „ ‚Einen Menschen töten heißt nicht, eine Lehre verteidigen, sondern einen Menschen töten’: Sebastian Castellio“ (55-86).

 

Norbert Brieskorn (München), als Rechtsphilosoph und Rechtshistoriker bestens bekannt, führt systematisch in das verstreute Werk Pierre Bayles (1647-1706) ein: „Pierre Bayle oder der neue Blick auf Atheismus, Toleranz und Frieden“ (87-115). In der Nachfolge des Erasmus war Bayle, der seit 1681 in Rotterdam lebte, ein entschiedener Gegner des Krieges überhaupt („Das Grauen des Krieges gegen die Zerbrechlichkeit des Friedens“, 105ff.).

 

3. Die nächsten drei Beiträge sind unter der Überschrift „Individueller Friede und Verantwortung für das Ganze“ vereinigt (117-213).

 

Der Historiker Merio Scattola (Padua) geleitet ins Zentrum der bis heute aktuell gebliebenen Diskussion über die Erlaubtheit des Krieges: „‚Wie der König im Krieg nach der wahrscheinlichen Meinung handeln soll’. Die Kriegslehre des Gabriel Vázquez im Horizont des Probabilismus“ (119-153). Die Position des scharfsinnigen Jesuiten Gabriel Vázquez (1549-1604), der als Moraltheologe des ‚spanischen Zeitalters’ in der Tradition des Thomas von Aquino nach praktischen Handlungsanweisungen für die ihrem Gewissen unterworfenen Regenten und Regierten sucht, wird vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Diskussion plastisch geschildert. Die Figur des ‚beiderseits gerechten Krieges’ (bellum iustum ex utraque parte) lehnt auch Gabriel Vázquez noch ab (143ff.).

 

Jan Papy, klassischer Philologe und Humanismusforscher (Leuven) würdigt einen als Neustoiker berühmt gewordenen niederländischen Humanisten: „Justus Lipsius über Frieden und Krieg: Humanismus und Neustoizismus zwischen Gelehrtheit und Engagement“ (155-173). Lipsius (1547-1606), der in den blutigen Wirren seiner Zeit den Weg vom Protestantismus zurück zur katholischen Kirche gefunden hatte, war kein radikaler Pazifist. In dem von sittlicher Vernunft geleiteten Staat sah Lipsius die Lösung des Friedensproblems. Dazu gehörte auch die durch militärische Macht bewehrte Sicherheit - im Inneren wie nach außen (vgl. 163ff.: „Prudentia militaris als Garantie des Friedens“).

 

Erwin Schadel, Philosoph und Comenius-Forscher (Bamberg), beschäftigt sich mit dem großen böhmischen Friedensdenker Johan Amos Comenius (1592-1670), dessen geistige Spannweite von der Pädagogik bis zur Weltfriedensorganisation reichte: „Comenius’ Pansophie als Konzept eines kreativen Friedens“ (175-213).

 

4. Der anschließende Abschnitt über „Naturrecht und Aufklärung“ (215-315) enthält vier Beiträge, die vor allem die Juristen besonders ansprechen.

 

Von philosophischer Warte aus würdigt Hans Schelkshorn (Wien) „Thomas Hobbes’ Ethik des Friedens“ (217-253). Der große britische Staatsdenker Thomas Hobbes (1588-1679), der wegen seiner pessimistischen Weltsicht oft zu einseitig beurteilt wird - selbst historisch Illitterate zitieren noch gern das bellum omnium contra omnes oder den homo homini lupus, erscheint in der ausgewogenen Darstellung des Verfassers als origineller Friedensdenker, dessen praktische Moralphilosophie dem neuen Stil des mos geometricus folgt (vgl. dazu 229ff.).

 

Ein völkerrechtsgeschichtliches Kabinettstück stammt aus der Feder des Rechtshistorikers Klaus Luig (Köln): „Samuel Pufendorf über Krieg und Frieden“ (255-266). Als ein herausragender Kenner der europäischen Rechtsgeschichte seit dem 12. Jahrhundert bietet der Verfasser einen souveränen Überblick über grundlegende völkerrechtliche Lehren Samuel Pufendorfs (1632-1694), der als Naturrechts-Systematiker an das ius belli ac pacis von Hugo Grotius († 1645) anknüpft: Wer sich über Pufendorf als Theoretiker des ‚Natur- und Völkerrechts’ (ius naturae et gentium) auch im praktischen völkerrechtlichen Detail unterrichten will, sollte künftig Klaus Luig lesen, insbesondere die Seiten über „Gerechte Kriege und Friedensvorsorge“ (262f.) und „Ethik der Kriegführung“ (263ff.).

 

Der als Historiker ausgewiesene Leibnizforscher Hartmut Rudolph (Potsdam) referiert über „Ansätze einer Friedensethik bei Gottfried Wilhelm Leibniz“ (267-289). Der große Universalgelehrte Leibniz (1646-1716) wird sachkundig als Jurist gewürdigt, der auch im Bereich des Völkerrechts sowohl in der naturrechtlichen als auch in der gemeinrechtlichen Tradition steht (vgl. 268ff. zu dem bekannten Ulpian-Zitat in D.1,1,10,1 mit dem Gebot des honeste vivere, alterum non laedere, suum cuique tribuere). Den Völkerrechtshistoriker spricht Rudolph in seiner Interpretation der Vorrede zum „Codex juris gentium diplomaticus“ von 1693 besonders an (273ff.).2 Es folgen Abschnitte über Kirchenpolitik (277ff.) sowie über „Utopie und Reich Gottes“ (283ff.).

 

Den Abschnitt beschließt der Philosophiehistoriker Sicco Lehmann-Brauns (Berlin) mit einem Aufsatz über „Christian Thomasius’ Differenzierung der praktischen Philosophie als Beitrag zur Friedensdiskussion der Aufklärung“ (291-315). Die ideengeschichtliche Stellung des Naturrechtslehrers und Aufklärers Christian Thomasius (1655-1728) wird facettenreich beschrieben, vor allem auch hinsichtlich der folgenreichen „Trennung von Recht und Moral“ (306ff.) und der „Konvergenz von staatlichem, gesellschaftlichem und seelischem Frieden“ (310ff.).

 

5. Der vierte und letzte Abschnitt, der drei für den Historiker des Völkerrechts wichtige Arbeiten vereinigt, trägt die Überschrift „Friedensordnung zwischen oder über den Staaten“ (317-405).

 

Der Philosophiehistoriker und Rechtsphilosoph Robert Schnepf (Halle) behandelt „Baltasar de Ayalas Beitrag zum Kriegsrecht und dessen Kritik bei Francisco Suárez und Hugo Grotius“ (319-345). Der mit Recht zu den ‚Classics of international law’ gerechnete, in Antwerpen als Sohn eines spanischen Vaters und einer niederländischen Mutter geborene spanische Kriegsrichter Baltasar Ayala (1548-1584) gehört zu den humanistisch geprägten Juristen, die sich vor Hugo Grotius fundiert mit völkerrechtlichen Fragen beschäftigt haben. Die überragende Bedeutung, die Ayala in einem Teil der modernen Literatur beigemessen wird, sieht Robert Schnepf nicht. Er weist zutreffend auf methodische Mängel des Spaniers hin und kennzeichnet treffend die von Francisco Suárez († 1617) und Hugo Grotius († 1645)

geübte Kritik (338ff.). Nichtsdestoweniger hat Ayala wesentliche Verdienste um die auf das römische Recht gestützte Fortentwicklung des Kriegsrechts im Sinne einer stärkeren Formalisierung des Kriegführungsrechts (ius ad bellum) 3.

 

Einen weitgehend vergessenen französischen Autor des 16.Jahrhunderts, den Juristen Guillaume Aubert (1534-1601), würdigt der Historiker Christoph Kampmann (Marburg): „Guillaume Auberts ‚Oraison de la Paix’ von 1559: Ein zukunftweisender Beitrag zur frühneuzeitlichen Friedensdiskussion?“ (347-371). Im Zentrum der Friedensrede Auberts stehen hochinteressante Vorschläge für die Schiedsgerichtsbarkeit unter christlichen Fürsten zur Wahrung des Friedens innerhalb der Christenheit (353ff.). Kampmann, der als besonderer Kenner der Schiedsgerichtsbarkeit und der Idee des politischen Schiedsrichters ausgewiesen ist 4, macht einsichtig, weshalb die Gedanken Auberts im 17. Jahrhundert weniger Nachhall hatten als andere Friedenspläne („‚Arbitrage universel’ bei Aubert und Bodin: ein Vergleich“, 363ff.).

 

Den Abschluß bildet ein Beitrag des amerikanischen Kirchenhistorikers Melvin B.Endy Jr. (St.Mary’s City, Maryland) über „William Penn’s Essay on the Present and Future Peace of Europe: the Proposal of a Political Pacifist“ (373-403). Der berühmte Friedensplan des in Amerika wirkenden englischen Philanthropen und Staatsdenkers William Penn (1644-1718) wird von Endy in größere Zusammenhänge eingebettet, als Ausdruck des persönlichen politischen Pazifismus Penns (377ff.) und als Vorläufer der namentlich bei den Quäkern bis in die Gegenwart fortwirkenden entsprechenden Ideen (390ff.). Penn’s „Essay on the Present and Future Peace of Europe“ von 1693 ist übrigens für heutige Leser eine noch immer anregende Lektüre, zumal Penn auch für Rußland und die Türkei deren Zutritt zum “State of Europe” vorsah.

 

6. Dem „Autorenverzeichnis“ (407-411) folgt ein „Inhaltsverzeichnis aller drei Bände“ (413-417) und ein „Personenregister aller drei Bände“ (419-441), durch die jetzt eine bequeme Nutzung des gewichtigen Gesamtwerkes zur Friedensethik in der frühen Neuzeit ermöglicht wird. Den Herausgebern und den Autoren ist der Dank auch der rechtshistorischen Fachwelt sicher.

 

Hamburg                                                                                                        Karl-Heinz Ziegler

 

1 ZRG Germ.Abt. 121 (2004) 692ff.

 

2 Bei der Literatur (289) wäre ein Hinweis auf H. Schiedermair, Das Phänomen der Macht und die Idee des Rechts bei Gottfried Wilhelm Leibniz (1970), nützlich gewesen.

 

3 Vgl. dazu meinen auf Einladung Verena Postels am 13. 2. 2004 in Marburg gehaltenen Vortrag „Zum ‚gerechten Krieg’ im späteren Mittelalter und in der Frühen Neuzeit - vom Decretum Gratiani bis zu Hugo Grotius“ (Abschn. III. 3.), der im kommenden Band der ZRG Rom. Abt. erscheinen wird.

 

4 Vgl. Chr.Kampmann, Arbiter und Friedensstiftung. Die Auseinandersetzung um den politischen Schiedsrichter im Europa der frühen Neuzeit, Paderborn 2001 (dazu meine Rezension, ZRG Germ.Abt.120, 2003, 624ff.).