Zunker, Diana, Adel

in Westfalen. Strukturen und Konzepte von Herrschaft (1106-1235) (= Historische Studien 472). Matthiesen, Husum 2003. 446 S. graph. Darst. Kt. Besprochen von Gudrun Pischke.

Zunker, Diana, Adel in Westfalen. Strukturen und Konzepte von Herrschaft (1106-1235) (= Historische Studien 472). Matthiesen, Husum 2003. 446 S., graph. Darst., Kt.

 

Die Verfasserin hat sich der schwierigen Aufgabe gestellt, das Wirken einiger westfälischer Adelsfamilien im Zeitraum der Umgestaltung des sächsischen Herzogtums über die Herzogsherrschaft Lothars von Süpplingenburg zum ‚Territorialherzogtum‘ Ottos des Kindes (so S. 12) zu untersuchen. Aus etwa 120 Adelsfamilien hat sie aufgrund der „recht gut“ greifbaren Quellen in der insgesamt für derartige Forschungen dürftigen Quellenlage fünf „bedeutende“ Familien mit Herrschaftsschwerpunkten im östlichen Westfalen-Engern ausgewählt (S. 21). Nach Einleitung (mit dem Anreißen der Frage nach der Haltung des westfälischen Adels als Anhänger oder Vasallen Heinrichs des Löwen bei Aufteilung des Herzogtums Sachsen 1180), Forschungsüberblick (mit dem vollkommen korrekten – und hoffentlich auffordernden – Hinweis, dass die Gruppe unterhalb der Reichsfürsten bisher noch kaum im Blickpunkt der Forschung steht), Quellenlage (mit weniger die Anzahl der mühsam zu durchforstenden Urkundenbücher und anderer Quellen als vielmehr Art und Qualität der z. T. alten Editionen), Fragstellung und Methode (mit dem Verweis auf die Wertigkeit von Zeugenreihen in ihrer reichs- und regionalpolitischer Bedeutung, S. 19) im ersten Abschnitt folgen im nächsten nach der „Definition von Adel“ – in der Reihenfolge ihres Greifbarwerdens in den Schriftquellen – die Ergebnisse der Recherchen zu den Grafen von Everstein, den Edelherren von der Lippe, den Grafen von Schwalenberg, den Grafen von Tecklenburg und den Grafen von Ravensberg.

 

Jeder Abschnitt beginnt mit einer einleitenden Fragestellung, die aufgrund von Überlieferung und Zufälligkeiten persönlicher Schicksale und familiärer Konsequenzen keine vergleichende Antwort erwarten lässt, sondern auf eine individuelle Facette der Familiengeschichte weist, die nach Abhandlung von sieben gleichgelagerten Untersuchungsschwerpunkten im Resümee (Unterpunkt 8.) wieder aufgenommen wird. Bei den Eversteinern „beeindrucken“ ihre „hervorragenden“ Verflechtungen mit Wittelsbachern, Piasten und Babenbergern, bei den Lippern ist es der außergewöhnliche Lebenslauf Bernhards II. vom Heerführer Heinrichs des Löwen zum Bischof von Livland, bei den Schwalenbergern die „schlechte Presse“ nach dem Übergriff auf das Reichskloster Corvey, bei Tecklenburgern das aus verwandtschaftlichen Bindungen und Verpflichtungen resultierende politisches Fehlverhalten und bei den Staufer-verwandten und „fast fürstengleichen“ Ravensbergern sind es interne Erbstreitigkeiten mit Auswirkungen auf ihre gesellschaftliche Stellung. Sozusagen dazwischen werden in den sieben Untersuchungsschwerpunkten Herkunft (1.), Ehen (Konnubium) (2.), Besitzschwerpunkte (3.), Beziehungen zu geistlichen Institutionen, unterteilt nach Klöstern und Stiften (4.1.) sowie Bistümer (4.2.), Beziehungen zu den sächsischen Herzögen (5.), Beziehungen zu den Königen und Kaisern (6.) und Herrschaftsausbau, festgemacht an Burgen und Städten, (7.) abgehandelt. Dazu gibt es im Anhang fünf Verwandtschaftstafeln und eine Überblickskarte mit einer auf das äußerste Minimum beschränkten Legende.

 

In den Schriftquellen tauchen die ersten Angehörigen dieser fünf westfälischen Adelsfamilien zwischen 1120 und 1141 auf; Vermutungen auf Zusammenhänge mit den Grafen von Northeim, einem der älteren sächsischen Geschlechter, stehen außer bei den Schwalenberger für alle im Raum. Hinsichtlich der Schwalenberger gehen mit Immedingern und Esikonen die Vermutungen sogar auf sächsische Geschlechter aus der ältesten greifbaren Zeit zurück. Weitere herkunftsorientierte Verbindungen werden zu anderen Familien wie Arnsberg (Lipper), Ekbertiner (Tecklenburger), Zütphen (Tecklenburger, Ravensberger), Calvelage (Ravensberger) und Billunger (Ravensberger) herausgestrichen. Beim Konnubium stellt sich eher heraus, dass es weniger direkte Verbindungen wie zu Piasten und Wittelsbachern (zwei Eversteiner heirateten verwitwete Töchter), bedingt auch zu Staufern (ein Ravensberger heiratete mit der Tochter des Landgrafen von Thüringen eine Nichte Friedrichs I.) gab, sondern dass die Heirat den Zugang zu einem weiteren – auch königlichen – Verwandtenkreis erschließen konnte. Die Regel waren eher Eheschließungen mit Familien aus dem westfälischen Raum, d. h. auch untereinander, und den benachbarten Räumen. Östliche Familien (Eversteiner, Schwalenberger) orientierten sich eher nach Osten, nordwestliche (Tecklenburger, Ravensberger) nach Westen oder Norden Etwas im Hintergrund bleibt zum einen, dass die Zahl und damit die auszuschöpfenden Möglichkeiten von Eheverbindungen abhängig waren von Anzahl und Überleben der Nachkommen, d. h. von genealogischem Zufall, und zum anderen, dass das Verheiraten von Töchtern auch eine Reduzierung der Herrschaftsgrundlage in sich barg.

 

Zu Klöstern und Stiften werden rein zahlenmäßig seitens der Eversteiner elf, seitens der Lipper 15, seitens der Schwalenberger 18, seitens der Tecklenburger 26 und seitens der Ravensberger 16 Verbindungen erschlossen. Die Beziehungen zu Kloster oder Stift waren vielschichtig: von Zeugenschaft in Urkunden über Schenkungen, Bestätigung von Besitzrechten, Vogt, Erziehung im Kloster, Eintritt und Amt im Kloster, Besitzstreitigkeiten und Konflikten zu Klosterstiftung; Sühnestiftungen, Totengedächtnis oder Grablege und Aufnahme in die Gebetsbruderschaft. Die Verbindung der Adelsfamilien zu Bistümern ist mit fünf bis sieben zahlenmäßig ausgewogen; vorrangig waren Diözesanbistum und benachbarte Bistümer. Neben der Nennung als Zeuge einer Beurkundung, als Vogt, als Inhaber eines Lehens oder einer Pfründe waren Konflikte zu bewältigen, konnte in bischöfliche Ungnade gefallen werden, trat ein Bischof als Vermittler auf oder war am Zustandekommen eines Ehevertrages beteiligt; neben der Teilnahme am Kreuzzug im Gefolge des Bischofs und die Aufnahme in das Domnekrolog nahmen Angehörige westfälischer Adelsfamilien auch den Bischofsstuhl ein.

 

Die Beziehungen zu den sächsischen Herzögen werden festgemacht am gemeinsamen Auftreten und der Nennung als Zeuge in Urkunden, am Innehaben von Lehen, aber auch an Konfliktlösung, und verwandtschaftlichen Bindungen. Nicht alle sind schon bei Lothar von Süpplingenburg zu greifen, alle intensiv bei Heinrich dem Löwen, beim Erzbischof von Köln als einem neuen Herzog größtenteils seit 1177-1181, der Zeit des hier so genannten Sächsischen Krieges; zum anderen neuen sächsischen Herzog gab es keine Berührungspunkte, wohl aber zum dritten Faktor in diesem Kräftespiel, den Welfen in der Nachfolge Heinrichs des Löwen. Unter die sächsischen Herzöge eingereiht ist – vielleicht etwas befremdlich, aus sachlichen Gründen aber zu vertreten – Siegfried IV. von Northeim. Die Northeimer hatten in Westfalen weit gestreuten Besitz und verfügten über viele Rechte, als deren Lehnsträger, aber auch Erben außer den Tecklenburgern die übrigen vier Adelsfamilien zu greifen sind. Damit waren sie Konkurrenten Heinrichs des Löwen und deshalb wandten sie sich von ihm ab, als sein Stern zu sinken begann. Dieser Aspekt zieht sich beinahe wie ein roter Faden durch die Betrachtungen. Nicht zu allen Königen und Kaisern hatten die fünf Adelsfamilien Beziehungen. Die Abhandlung der Beziehungen zu Klöstern, Bistümern, Herzögen und Königen führt dazu, dass dieselben Sachverhalte aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden; herausragend ist der Konflikt Widukinds von Schwalenberg mit dem Kloster Corvey (Corveyer, bischöfliche, herzogliche und königliche Sicht).

 

Nachdem die Besitzverhältnisse nur angerissen wurden, stehen beim Herrschaftsausbau Burgen und Städte im Vordergrund. Führend waren die Lipper mit neun Burgen und Städten, bei den Ravensbergern waren es sechs, bei den Schwalenbergern und den Tecklenburgern je fünf und den Eversteinern vier. Burgenbau oder Gründung der Stadt bzw. Ausbau nach Übernahme von Burg oder Stadt werden skizziert, einige Städten in Verbindung mit ihrer (Schutz?)Burg genannt. Zur Stadt Holzminden wird die Burg Everstein in diese Funktion gesetzt (S. 80), obwohl unmittelbar bei der Stadt die gleichnamige Burg lag, die 1240 genannt wird. Da auf eine intensivere Untersuchung der Besitzgeschichte jeder einzelnen Familie – aus quellentechnischen Gründen (s. S. 20), die aber wohl auch den Rahmen dieser Arbeit gesprengt hätte – und auf die daran anschließende Kartendarstellung verzichtet wurde, kann das in den Raum gestellte Ineinander- und Übergreifen von Besitz- und Herrschaftsrechten der fünf Adelsfamilien im westfälischen Raum (s. S. 21, 384), abgesehen von Interessenüberschneidungen bzw. das Nebeneinander von Interessen bei Klöstern und Stiften, nicht verifiziert werden. Das Kartenbild vermittelt doch eher getrennt liegende Einflussbereiche.

 

Einen anderen Blickwinkel bietet der dritte Abschnitt „Die sächsischen Herzöge und der Adel in Westfalen“ mit einer Herausstellung Siegfrieds von Northeim und Einbeziehung des bislang außerhalb der Betrachtung stehenden Bernhard von Anhalt, zweiter sächsischer Herzog seit 1180, und die Haltung der Angehörigen des westfälischen Adels im Thronstreit 1198 und den zehn Jahren des Doppelkönigtums. Im vierten und letzten Abschnitt „Wandel adeliger Herrschaft“ wird sich auf 25 Seiten an einen Vergleich von Heiratsverhalten, Verwandtschaft, Beziehung zu geistlichen Institutionen, Strategien von Herrschaftsausbau und Herrschaftsteilung, Beziehungen zum Reich und Aufbau dynastischer Herrschaft mehr herangetastet als dass er ausgeführt wird. Das Resümee: „Wandel von Strukturen und Konzepten adeliger Herrschaft“ nimmt wieder den „roten Faden“ des Northeimer Erbes und den darin enthaltenen Konfliktstoff auf.

 

Eine Fülle von Quellenmaterial ist zusammengetragen worden, die diese Arbeit zu einem unverzichtbaren Hilfsmittel für weitere Forschungen werden lässt. Wer sich mit einer der fünf Adelsfamilien oder anderen angerissenen Aspekten befasst, stößt sicherlich auf Anzumerkendes; das aber schmälert keineswegs den Wert der vorgelegten Arbeit.

 

Bovenden                                                                                                      Gudrun Pischke