A Great Effusion of Blood

? Interpreting Medieval Violence, hg. v. Meyerson, Mark D./Thiery, Daniel/Falk, Oren. University of Toronto Press. Toronto 2004. VIII, 319 S. Besprochen von Susanne Jenks.

A Great Effusion of Blood? Interpreting Medieval Violence, hg. v. Meyerson, Mark D./Thiery, Daniel/Falk, Oren. University of Toronto Press. Toronto 2004. VIII, 319 S.

 

Die meisten der 13 Aufsätze in diesem Sammelband entstanden im Rahmen der Tagung „Violence in Medieval Society“, die vom Centre for Medieval Studies der Universität von Toronto im Jahre 1998 veranstaltete wurde. Ihr geographischer Rahmen (Skandinavien bis Königreich Valencia) ist ebenso umfassend wie der zeitliche (Angelsachsen bis 15. Jahrhundert).

 

Thematisch untergliedern sich die Essays in zwei Bereiche: Die ersten sechs dokumentieren Gewalt als Teil des sozialen Lebens, die angewandt wird, um eine bestimmte Position in der Gesellschaft zu erreichen beziehungsweise zu verteidigen. Sie sind unter der Überschrift „Violence and Identity Formation“ zusammenfasst. John M. Hill erläutert am Beispiel von Wiglaf, einer Figur im angelsächsichen Gedicht Beowulf, wie ein Individuum durch die (ehrenhafte) Anwendung von Gewalt seine Identität und seinen Status verändern kann (Violence and the Making of Wiglaf, S. 1-33). Gewalt brachte jedoch nicht per se eine Verbesserung der gesellschaftlichen Stellung, wie Debra Blumenthal (Defending Their Masters’ Honour: Slaves as Violent Offenders in Fifteenth-Century Valencia, S. 34-56) zeigt. Sie beschreibt Gewaltakte, in denen Sklaven eine prominente Rolle spielten, und wertet die Einbeziehung von Sklaven in Gewaltakte ihrer Herren als Ausdruck ihrer Position als kaum wahrgenommene Randgruppe. Der dritte Beitrag handelt von einem Akt normativer Gewalt hervorgerufen durch spezielle Ehrvorstellungen, dochspielten nach Mark D. Meyerson (The Murder of Pau de Sant Martí: Jews, Conversos, and the Feud in Fifteenth-Century Valencia, S. 57-78) Blutsbande eine weitaus bedeutendere Rolle beim Mord an dem getauften Juden Pau de Sant Martí im Juli 1430 als die Religion, denn conversos taten sich - eine Generation nach der „period of conversions (1391-1416)“ - mit Juden zusammen, „to contest power and status with other Jews and conversos“ (S. 64). Dass Gewaltakte auch im Mittelalter je nach Perspektive moralisch unterschiedlich interpretiert wurden, belegt Eve Salisbury am Beispiel von Gowers Vox clamantis, wo die Haltung des Autors zum Eindringen der Rebellen nach London, zum Massaker an den in der Stadt lebenden Flamen und zu der vom Bürgermeister von London ausgeübten Gewalt dokumentiert ist (Violence and the Sacred City: London, Gower, and the Rising of 1381, S. 79-97). In eine ähnliche Richtung führt der Beitrag von Anne McKim (Scottish National Heroes and the Limits of Violence, S. 131-143), die die Bewertung der englischen Invasionstruppen in den schottischen Chroniken analysiert. Oren Falk betrachtet das Thema Gewalt dagegen aus einer ganz anderen Perspektive, nämlich der von Augenzeugen von Gewalt (Bystanders and Hearsayers First: Reassessing the Role of the Audience in Duelling, S. 98-130). Die Augenzeugen von Duellen konnten verschiedene Rollen übernehmen: So konnten sie Zweikämpfe durch ihr Eingreifen beenden, nachdem der erste Tropfen Blut geflossen war. Allerdings konnte ihre bloße Anwesenheit auch zur Eskalation der Gewalt führen.

 

Die restlichen 7 Beiträge - unter der Überschrift ,Violence and the Testament of the Body’ zusammengefasst - konzentrieren sich auf die Darstellung der Auswirkung von Gewalt auf den menschlichen Körper im weitesten Sinne. Beth Crachiolo (Seeing the Gendering of Violence: Female and Male Martyrs in the South English Legendary, S. 147-163) betont, dass in der South English Legendary (imaginäre) Folterungen besonders anschaulich beschrieben werden, wobei die Darstellungen je nach Geschlecht des Folteropfers differieren. Dawn Marie Hayes (Body as Champion of Church Authority and Sacred Place: The Murder of Thomas Becket, S. 190-215) untersucht den Mord an dem Erzbischof von Canterbury 1170 im Hinblick auf die Informationen in Bezug auf „medieval attitudes toward ... the consecrated body of Thomas, and how it negotiated church authority and the sacred place of Canterbury Cathedral“ (S. 190). M. C. Bodden widmet sich „Chaucer’s Clerk´s Tale: Interrogating ,Virtue’ through Violence (S. 216-240). In dieser Geschichte legt Chaucer „hagiography’s complicity with violence“ offen (S. 219). John Carmi Parsons (Violence, the Queen’s Body, and the Medieval Body Politic, S. 241-267) nutzt die Berichte über Isabelle von Hennegaus Aktion in Senlis und einer vergleichbaren Geschichte über die Herzogin von Geldern zu Schlussfolgerungen über die Rolle von Herrschergattinen und den Gebrauch ihres Körpers als ‚Waffe’. Auch David Hay (Canon Laws regarding Female Military Commanders up to the Time of Gratian: Some Texts and Their Historical Contexts, S. 287-313) widmet sich dem weiblichen Geschlecht. Er untersucht Kapitel 29 von Buch 7 des Liber de vita Christiana Bonizo von Sutris und anderer relevanter Kanones bis zu Gratians Decretum. Seiner Ansicht nach verurteilte Bonzio nicht weibliche Kämpfer, sondern weibliche Kommandeure, doch war Kapitel 29 des Liber de vita Christiana„merely an extension of more general late antique and early medieval legislation that had invoked both divine and human laws to prohibit women from assuming public office“ (S. 298). Zurück in die Welt der Männer führt der Beitrag von Richard Firth Green (Violence in the Early Robin Hood Poems, S. 268-286), der die ‚zynische Brutalität’ in den frühen Robin Hood Balladen interpretiert als „symptomatic of a clash between two penal regimes, the older occlusive regime that underlies the very institution of outlawry itself, and the newer spectacular regime represented by the Sheriff of Nottingham and his officials“ (S. 276). Etwas aus der Reihe fällt der Beitrag von Daniel Baraz (Violence or Cruelty? An Intercultural Perspective, S. 164-189). Er ergründet Wahrnehmung von Gewalt durch Gegenüberstellung mit der Kategorie Grausamkeit. Während Gewalt in unterschiedlicher Intensität vorkommt, ist der Begriff der Grausamkeit inflexibel. Er beinhaltet eine moralische Wertung und ist nach Ansicht von Baraz in höherem Masse an besondere kulturelle Konventionen und Traditionen geknüpft als Gewalt und daher weniger ‚objektiv’. Wenn Gewalt als exzessiv empfunden wurde, definierte man sie als Grausamkeit, allerdings nur in der (hoch-)mittelalterlichen westlichen Kultur. Ähnliche Zeugnisse fehlen in islamischen und osteuropäischen Quellen. Nach Baraz wurde der Begriff Grausamkeit im Hochmittelalter geprägt als strategische Waffe im Konflikt zwischen Reformkirche und weltlicher Macht.

 

Diese thematisch und vom Ansatz her so verschiedenen Essays werden analysiert und zusammengefasst in zwei Beiträgen der Herausgeber (Introduction, S. 1-16; Conclusion, S. 315-319), die unter anderem dafür plädieren, Gewalt als akzeptierte Form sozialen Diskurses zu verstehen, und sich dafür aussprechen, dass mittelalterliche Gewalt und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft nicht allein durch Gerichtsprotokolle und andere offizielle Quellen erfasst, sondern durch das Studium von literarischen Quellen ergänzt werden sollten.

 

London                                                                                                                      Susanne Jenks