Gerber, Stefan, Zur Ausbildung von Diplomjuristen an der Hochschule des MfS

* (Juristische Hochschule Potsdam) (= Berliner juristische Universitätsschriften, Grundlagen des Rechts 21). Berlin Verlag, Berlin 2000. 416 S. Besprochen von Sven Korzilius. ZRG GA 119 (2002)

KorziliusGerberMierau20010831 Nr. 10373 10337 ZRG 119 (2002) 84

 

Gerber, Stefan, Zur Ausbildung von Diplomjuristen an der Hochschule des MfS (Juristische Hochschule Potsdam) (= Berliner juristische Universitätsschriften, Grundlagen des Rechts 21). Berlin Verlag, Berlin 2000, 416 S.

 

Mierau, Johannes, Die juristischen Abschluss- und Diplomprüfungen in der SBZ/DDR (= Rechtshistorische Reihe 233). Lang, Frankfurt am Main 2000. 276 S.

 

Beobachter aus der Bundesrepublik (alt) interessierten sich etwa bis Mitte der sechziger Jahre für die Juristenausbildung in der Deutschen Demokratischen Republik. Es dominierten Berichte, welche - im Lichte des „Kalten Krieges“ - vor allem die Ideologisierung der Juristenausbildung im östlichen deutschen Teilstaat thematisierten. Seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre ließ das Interesse für diesen Themenkomplex jedoch stark nach. Erst nach der Wiedervereinigung wurde das rechtswissenschaftliche Studium in der DDR als Forschungsgegenstand wiederentdeckt. Erwähnt sei aus diesem Forschungsspektrum hier nur Liwinska, Malgorzata, Die juristische Ausbildung in der DDR - im Spannungsfeld von Parteilichkeit und Fachlichkeit (= Akademische Abhandlungen zu den Rechtswissenschaften), Berlin 1997, zugl. Diss. iur. FU Berlin 1997.

Während Liwinska einen facettenreichen Gesamtüberblick bietet, beschränkt Mierau, dessen Dissertation in das von Rainer Schröder an der Berliner HU geleitete Forschungsprojekt „Zivilrechtskultur der DDR“ eingebettet war, seinen Untersuchungsgegenstand auf die zivilrechtlichen Examens- (1947-1953) und Diplomarbeiten. Ansätze, die Examenshausarbeit zu einer Diplomarbeit auszubauen, hatte es bereits in den fünfziger Jahren gegeben, sie setzten sich jedoch erst mit der Prüfungsordnung von 1966 und der 3. Hochschulreform 1967 endgültig durch und wurden schließlich in der Diplomordnung vom 21. Januar 1969 geregelt. Ein Großteil der - zu DDR-Zeiten zunächst an den Universitäten aufbewahrten - Arbeiten wurde nach der „Wende“ vernichtet, so daß Mierau letztlich „nur“ 103 Examenshausarbeiten und 136 Diplomarbeiten zur Verfügung standen. Um das „Dilemma des dürftigen Quellenmaterials“ (S. 36) etwas abzumildern, sollten in der DDR ausgebildete Juristen mittels eines Fragebogens um ihre Einschätzung der Ausbildung in der DDR ersucht werden, allerdings ohne großen Erfolg; nur sechzehn Personen antworteten, so daß - berücksichtigt man noch den eingeschränkten Quellenwert von auf solchem Wege gewonnenen Aussagen - dieser Ansatz als gescheitert angesehen werden muß.

Es verwundert daher nicht, daß der eigentliche Hauptteil der Untersuchung - die inhaltliche Analyse der Examens- und Diplomarbeiten - nicht sehr umfangreich ausfällt. Breiten Raum widmet Mierau demgegenüber der Darstellung der Entwicklung der juristischen Abschlußprüfungen vom Kriegsende bis zum Ende der DDR. Hier gelingt dem Verfasser eine detailreiche Schilderung, die wichtige Etappen wie die Zentralisierung des Prüfungswesens Anfang der fünfziger Jahre, die Abschaffung des juristischen Vorbereitungsdienstes und des Zweiten Staatsexamens 1953 oder die Aufteilung des Studiums in die Zweige „Rechtspflege“ und „Wirtschaft“ 1963 behandelt. Allerdings verharrt die Untersuchung zu sehr bei der Darstellung, es fehlen Fragestellungen, welche zu einer problematisierenden Interpretation führen könnten. Etwa zur Beantwortung der aufgeworfenen Frage, wie weit die Juristenausbildung in der DDR „normal“ war (S. 22), trägt das Nachzeichnen der Umorganisation und Umbenennung der Abschlußprüfung nicht sehr viel Wesentliches bei. Es hätte zum Beispiel viel präziser herausgearbeitet werden können, wer im einzelnen für die Einführung des Diplom-Titels war, was für materielle, inhaltliche Änderungen im Prüfungsstoff damit verbunden sein sollten und wer auf der anderen Seite für eine Beibehaltung des Examens eintrat. Vor allem hätte die Frage deutlicher beantwortet werden müssen, ob der Wechsel zum „Diplomjuristen“ nur ein deklaratorisches Absetzen von der älteren deutschen Rechtsentwicklung war, oder ob damit tatsächlich tiefgreifende Veränderungen für die Studenten verbunden waren. Ähnliches gilt für die Aufteilung des Studiums in Rechtspflegejuristen und Wirtschaftsjuristen, auch hier wäre eine breitere Diskussion angebracht gewesen. Schließlich, um nur noch einen weiteren Punkt zu nennen, wäre auch die Haltung der Studenten ein interessantes Thema gewesen: wie etwa gingen sie mit der verstärkten Einbindung des Stoffs des „gesellschaftlichen Grundstudiums“ in die Prüfungen um?

Für die Frage nach Kontinuität und Wandel in der Zivilrechtslehre der DDR gewinnbringender ist die inhaltliche Analyse der von Mierau aufgefundenen Arbeiten. Die zivilrechtlichen Examenshausarbeiten bis 1953 waren, so Mierau, „zeitlos“, d. h., sie dürften sich kaum von vergleichbaren zivilrechtlichen Hausarbeiten in der Bundesrepublik unterschieden haben, was der Verfasser - etwas ungelenk - durch den bloßen Abdruck eines als Hausarbeit gestellten Sachverhalts aus jener Zeit demonstriert. Eine starke Ideologisierung erhielt die Abschlußprüfung für Juristen zwischen 1950 und 1953 jedoch dadurch, daß neben der Hausarbeit zu einem konkreten Rechtsfall Themenhausarbeiten aus dem Bereich der Gesellschaftswissenschaften gestellt wurden. Zu diesem wichtigen Bereich wäre eine vertieftere inhaltliche Analyse wünschenswert gewesen.

Bei den Diplomarbeiten der siebziger und achtziger Jahre handelt es sich ausschließlich um Themenarbeiten, wobei auffällt, daß Arbeiten zum Staats- und „Verwaltungs“recht dominierten, gefolgt von Zivil-, Wirtschafts- und Strafrecht. Themenarbeiten mit stärker ideologischer Prägung (also aus Bereichen wie der marxistischen Rechtstheorie oder des „gesellschaftswissenschaftlichen“ Studiums) standen demgegenüber eindeutig im Hintergrund. Wenn Mierau dies damit begründet, das theoretische Niveau habe die Studenten von solchen Arbeiten abgehalten (S. 127), so ist diese Begründung jedoch zu kurz und zu oberflächlich. Hier wäre die Frage angebracht gewesen, ob es nicht vor allem Bemühungen der Zivilrechtslehrer waren, ihr Fach von der Ideologie weitgehend frei zu halten, welche auf eine Zurückhaltung in diesem Bereich führten. Eine solche Fragestellung hätte dann etwa zu einer Anbindung an die Forschungen zu professionellen Eliten in der DDR führen können.

Als einen der wichtigsten inhaltlichen Punkte stellt Mierau neben der Praxisorienteriung der Themen heraus, daß in den Arbeiten das DDR-typische Verständnis vom Recht als einem der Politik untergeordneten Mittel zum Ausdruck gekommen sei. Hier hätte jedoch die praktische Relevanz dieser Annahme für die konkrete Anlage der Diplomarbeiten herausgearbeitet werden müssen. Insgesamt bleibt das von Mierau gezeichnete Bild von der „Zivilrechtskultur“ der DDR und ihrer Auswirkung auf die inhaltliche Ausgestaltung des Studiums des Privatrechts zu abstrakt und damit zu blaß. Dies liegt an der gewählten Methode: Die etwa über hundert Diplomarbeiten werden hauptsächlich quantitativ, nach in Statistiken und Balkendiagrammen erfaßbaren Kriterien bearbeitet. Symptomatisch für ein solches Vorgehen sind zum Beispiel breite Ausführungen zu den Formalia der Arbeiten (S. 135f.). So erfährt der Leser, daß die Arbeiten teilweise Anlagen und Abkürzungsverzeichnisse hatten und in der Regel mit sechzig Anschlägen pro Zeile geschrieben wurden. Auch die Feststellungen, daß in den Arbeiten insgesamt wenig Literatur verwandt wurde, vor allem kaum westliche Literatur und daß sie zumeist eine ideologisch gefärbte, aus Klassiker- und Parteiliteraturzitaten schöpfende Einleitung besaßen, sind nicht neu.

Nach dieser kursorischen Gesamtbetrachtung der untersuchten Arbeiten, die wie angedeutet recht stark am Formalen und am Allgemeinen hängt, hätte der Leser sich jedoch eine viel tiefere inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Zivilrechtsverständnis der DDR - wie es Studenten gelehrt und von diesen in ihren Abschlußarbeiten angewandt wurde - gewünscht. Dazu hätte beispielsweise schon genügt, daß einige repräsentative Arbeiten inhaltlich ausführlicher interpretiert worden wären, um so ein lebendigeres Bild zu erhalten.

Während bei Mierau die Studieninhalte also zu blaß bleiben, neigt Stefan Gerber, welcher sich der Geschichte der „Juristischen Hochschule“ (JHS) des Ministeriums für Staatssicherheit in Potsdam-Eiche widmet, ein wenig zum gegenteiligen Extrem. Gerbers Arbeit steht unter der Leitfrage, inwieweit das Studium an der JHS des MfS den dafür verliehenen Grad des „Diplom-Juristen“ rechtfertigte. Als Aufhänger dient die Frage, ob es gerechtfertigt war, im Einigungsvertrag (und den damit zusammenhängenden gesetzlichen Bestimmungen) den Diplom-Juristen aus Eiche den Zugang zu juristischen Berufen zu verwehren, während das an einer Universität erworbene Diplom dem westdeutschen Ersten Staatsexamen gleichgestellt wurde (s. dazu Mierau S. 214ff.).

Um diese Frage beantworten zu können wählt Gerber den Weg, nach einem gut lesbaren, gerafften Abriß der Geschichte der 1951 gegründeten JHS (S. 26-50), „die Studieninhalte möglichst detailliert darzustellen“. Auf rund 140 Seiten bietet Gerber einen akribischen Überblick über zwölf Lehrgebiete, die von „Grundlagen des Marxismus-Leninismus“ bis hin zu Russisch und militärischer Ausbildung reichten. Im Vergleich mit der Ausbildung an zivilen Universitäten zeigt Gerber, daß eigentlich juristische Fächer an der JHS völlig im Hintergrund standen (vor allem fehlte das Zivilrecht), da es hauptsächlich darum ging, die Absolventen auf ihren praktischen Einsatz in der operativen Tätigkeit im Ministerium für Staatssicherheit vorzubereiten. Entsprechend bedeutsam waren demnach Lehrgebiete wie „die Arbeit mit Inoffiziellen Mitarbeiten (IM)“, „die Bearbeitung von operativen Vorgängen“ oder „operative Psychologie“.

Indem Gerber diese Darstellung der Studieninhalte mit Ausführungen zum Lehrpersonal, zu den Absolventen und zum Studienalltag ergänzt, entsteht ein sehr lebendiges Bild vom Mikrokosmos der MfS-Hochschule, wobei gut deutlich wird, daß der Titel „Diplom-Jurist“ nur deklaratorischen, ja verschleiernden Charakter besaß. Tatsächlich wurden an der JHS eben Geheimdienstoffiziere ausgebildet, für die gerade die Überprüfung ihres Handelns an rechtsstaatlichen Maßstäben zweitrangig war.

Kritisch ist allerdings anzumerken, daß Gerber bei der Darstellung der Studieninhalte zu stark an seiner Quellengrundlage klebt. Der Verfasser stützt die Beschreibung der einzelnen Lehrgebiete weitgehend auf einige Studienordnungen der JHS aus den achtziger Jahren, wobei beim Leser der Eindruck zurückbleibt, daß es sich bei der Darstellung in weiten Passagen lediglich um Paraphrasierungen dieser Studienordnungen handelt. Hier wäre insgesamt eine kritischere Distanz, ein weiterführender, selbständiger Interpretationsansatz wünschenswert gewesen. Um am Ende die einzige Leitfrage, ob die JHS-Studenten zu Recht als „Juristen“ bezeichnet wurden oder nicht, im Sinne der durch die Politik 1989/90 getroffenen ablehnenden Entscheidung zu beantworten, wirkt die Darstellung der Studieninhalte demnach auf den Leser etwas zu aufgebläht. Dennoch ist Gerbers Untersuchung ein wertvoller Beitrag zur Geschichte des MfS.

 

Norderstedt                                                                                                            Sven Korzilius