Giel, Robert, Politische Öffentlichkeit im spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Köln
SchmidGiel20010818 Nr. 1064 ZRG 119 (2002) 31
Giel, Robert, Politische Öffentlichkeit im spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Köln (1450-1550) (= Berliner Historische Studien 29). Duncker & Humblot 1998. 448 S.
Das „Funktionieren“ einer Stadtverfassung im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, die Analyse des Zusammenspiels verschiedener politischer Institutionen und gesellschaftlicher Gruppen, das Spannungsfeld von geschriebener Verfassung und realer Entscheidungsfindung in Zeiten des Konflikts, aber auch in jenen der Normalität gehört seit über einem Jahrhundert zu den zentralen Themen der stadtgeschichtlichen Forschung. Standen dabei zunächst rechts- und verfassungsgeschichtliche Untersuchungen der entsprechenden Urkunden im Vordergrund, so wurden diese seit den siebziger Jahren zunehmend durch eine verstärkt sozialgeschichtliche Betrachtungsweise ergänzt und z. T. abgelöst. Anschaulich hat dieses Konzept für Köln Wolfgang Herborn durch das Gegensatzpaar von Verfassungsideal und Verfassungswirklichkeit zum Ausdruck gebracht. Seit den neunziger Jahren gibt es neue Forschungstrends, von denen der eine die kultisch-religiöse Funktion der Stadtgemeinde betont und dabei auch die zahlreichen und vielfältig ausgerichteten geistlichen Institutionen innerhalb der Stadtmauer viel stärker in die Untersuchung einbezieht als dies die ältere, dem Modell der „Bürgerstadt“ verpflichtete Forschung getan hat. Ein weiterer, eng damit zusammenhängender Trend ist die Beschäftigung mit Ritualen, deren Bedeutung für die Stadtherrschaft und Stadtregierung kaum unterschätzt werden kann, mit Symbolen und Zeichen, mit Fragen der Kommunikation und Repräsentation, nicht zuletzt auch mit dem vieldiskutierten Problem der Öffentlichkeit.
In diesen Zusammenhang gehört die von Knut Schulz betreute, 1995 an der Freien Universität Berlin eingereichte Dissertation von Robert Giel, der Fragen der Kommunikation und Interaktion im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Köln analysiert. Die Konzentration der Arbeit auf die Jahre 1450 bis 1550 erscheint auf den ersten Blick etwas willkürlich, zumal die entscheidenden Zäsuren der Kölner Verfassungsgeschichte im Jahre 1396 (Verbundbrief) und im späten 16. Jahrhundert zu setzen sind. Der Untersuchungszeitraum wird von der Sache her aber durch die intensive Auswertung der in den letzten Jahren von Manfred Huiskes und Manfred Groten bearbeiteten Ratsprotokolle gerechtfertigt. Das Thema Rat und Gemeinde, bzw. Gaffeln, Zünfte und Gewerbe ist jedoch so vielschichtig, daß es im Rahmen einer Monographie kaum erschöpfend bearbeitet werden kann. Allein schon prosopographische Analysen zu den Funktionsträgern und den anderen, an Entscheidungen beteiligten Personen würden – trotz der Analysen Herborns – immer noch genug Material für einen weiteren Band ergeben. Der Zeitrahmen ist aber auch insofern zu begrüßen, als Giel erfolgreich versucht, die durch ältere Quelleneditionen (Stein, Loesch, Kuske, Knipping) und darauf aufbauende Forschungen bedingte Grenze des Jahres 1500 zu durchbrechen.
Nach einer langen und vielschichtigen Einleitung werden im ersten Teil der Arbeit die Medien der politischen Herrschaft analysiert, und zwar auf der einen Seite die öffentlich verkündeten Morgensprachen des Rats und dann die bisher noch nicht systematisch untersuchten neuen Printmedien, mit denen Markt-, Münz- und Akziseordnungen, aber auch Einladungen zu Schießspielen und die Klageschriften anläßlich der Revolution von 1513 unter das Volk gebracht wurden. Der zweite Hauptteil beschäftigt sich mit der Gemeinde bei den Ratswahlen, wobei zunächst einmal sehr detailliert das Wahlrecht und der Ausschluß bestimmter Personengruppen diskutiert werden. Im Mittelpunkt des dritten Teils schließlich stehen die Zünfte und ihre Kommunikation mit dem Rat, wobei ein 1534 vor dem Reichskammergericht geführter Prozeß um die Ratsfähigkeit eines Leinewebers breiten Raum einnimmt. Vergleiche mit Auseinandersetzungen um die Bäcker und Barbiere relativieren die Sicht einer allzu starken Stellung des Rates gegenüber den Gewerben. In einer kurzen Zusammenfassung wird das große Interesse des Rates, dessen Politik eher reaktiv als planend war, an Kooperation und Konsens unterstrichen. Da sich die ältere Forschung zumeist auf die Analyse von Konflikten und Revolutionen, von Aufruhr und Empörung konzentriert hat, wird Giels These einer auf Ausgleich und Harmonie ausgerichteten Stadtherrschaft fruchtbare Diskussionen anregen, wobei man sicherlich zeitlich differenzieren muß. Auch die Beziehungen zwischen Stadt und Stadtherrn bzw. Bürgerschaft und Kirche – um hier wichtige Forschungsfelder nur mit plakativen Obertiteln zu nennen – müßten einmal stärker unter diesem Gesichtspunkt untersucht werden.
Insgesamt liefert der Autor wichtige Einzelbeiträge zu einem nicht minder wichtigen Thema, das sich im Rahmen einer Monographie sicherlich nicht erschöpfend behandeln läßt. Hierzu würde nicht zuletzt auch eine Analyse der auswärtigen Beziehungen sowohl zum Kurfürsten als auch zum Reich und zum Reichskammergericht gehören. Die einleitenden Bemerkungen zu den Prophetenbildern im Rathaus machen neugierig, wie sich der Rat nicht nur in Morgensprache, Druckmedien und Protokollen dargestellt hat, sondern auch in Form von Ritualen und Inszenierungen, man denkt an die Ratskapelle, den Altar der Stadtpatrone oder an die Arbeiten von Dietrich W. Poeck zur Symbolik der Ratswahl. Diese und andere Quellen hätten es vielleicht ermöglicht, auch das Ideal einer am Gemeinwohl orientierten Stadtregierung stärker herauszustellen. Als Beispiel sei auf eine Zeichnung in der Agrippina des Hermann von Beck (um 1470) verwiesen, wo die durch ihre Wappen repräsentierte Stadt, die Sancta Colonia vom Stadtpatron St. Peter sowie von sieben heiligen Kölner Bischöfen bzw. Erzbischöfen umgeben und beschützt wird.
Schließlich sei noch der Hinweis gestattet, daß nach dem Erscheinen von Giels Buch Matthias Kordes in bisher drei gewichtigen Bänden den Inhalt von 1677 Kölner Prozessen von Kölnern vor dem Reichkammergericht erschlossen hat und daß Georg Mölich sowie Gerd Schwerhoff im Jahre 2000 einen voluminösen Sammelband über Köln als Kommunikationszentrum herausgegeben haben, der eine ganze Reihe von für die Thematik einschlägigen Aufsätze enthält. Hinzuweisen ist auch noch auf Esther-Beate Körbers Buch über Öffentlichkeiten in der frühen Neuzeit von 1998, in dem das Thema am Beispiel des Herzogtums Preußen untersucht wird. Da außerdem die vierte Tagung der Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit 2001 in Augsburg unter dem Thema Kommunikation und Medien in der frühen Neuzeit steht, ist eine weitere wichtige Publikation zu einem Forschungsfeld zu erwarten, zu dem Giels Buch wichtige Beiträge geleistet hat.
Trier Wolfgang Schmid