Stolleis, Michael, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland.

* Band 1 Reichspublizistik und Policeywissenschaft 1600-1800, Band 2 Staatsrechtslehre und Verwaltungswissenschaft 1914-1945, Band 3 Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur 1914-1945. Beck, München 1988, 1992, 1999. 431, 486, 439 S. Besprochen von Wilhelm Brauneder. ZRG GA 119 (2002)

BraunederStolleisgeschichtedesöffentlichenrechts20010921 Nr. 197/1210/10270ZRG 119 (2002) 45

 

 

Stolleis, Michael, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Band 1 Reichspublizistik und Policeywissenschaft 1600-1800. Band 2 Staatsrechtslehre und Verwaltungswissenschaft 1914-1945. Band 3 Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur 1914-1945. Beck, München 1988, 1992, 1999. 431, 486, 439 S.

 

Stolleis’ dreibändiges Werk insgesamt vorzustellen, rechtfertigt der Umstand, daß es mit Band III bzw. chronologisch mit 1945 offenkundig abgeschlossen ist. Wir erfahren nämlich, der „ältere Plan“ habe eine Fortsetzung bis zum Jahre 1990 im dritten Band vorgesehen, doch mußte dies „wegen der Fülle des Stoffs aufgegeben werden“ (III, 5). Allerdings scheint sich die Aufgabe dieses älteren Plans nicht auf Umfangprobleme zu gründen. Das eben erwähnte Vorwort deutet Umstände an, die nicht nur einen eigenen Band, sondern auch eine neue Darstellungsweise erforderlich machten. Da ist einerseits die „immer weitergehende Aufspaltung in Unterfächer“, womit die Darstellung in Gefahr laufe, „in hoffnungsloser Weise in eine Addition von Einzelgeschichten einzumünden“, doch erscheint Stolleis ohnehin „(w)ichtiger noch als eine Beschreibung der Entwicklungstendenzen des deutschen öffentlichen Rechts und seiner Teilordnungen“ die „Entwicklung wenigstens eines Forschungsplans für eine europäisch vergleichende (Wissenschafts-) Geschichte des öffentlichen Rechts“. Zu den Hinweisen auf die europäische Einigungsentwicklung, die Ähnlichkeit der „konstitutionellen und administrativen Grundprobleme“ (III, 6) wäre noch die Tatsache der EU-Zugehörigkeit hinzuzufügen. „Aber erreichbar“ erscheint Stolleis „eine vergleichende Wissenschaftsgeschichte des öffentlichen Rechts in Europa“ derzeit noch nicht (III, 7), was ein kräftiges Indiz für den erwähnten Abschluß des Werks abgibt. Wenn Stolleis überdies bekennt, zur Darstellung im Band III (1914-1945) sehe er, „wie unausweislich und wie subjektiv die vielen direkten und indirekten Werturteile sind“, ferner, „daß auch die eigenen Vorlieben deutlicher sichtbar werden“ (III, 5), so ist wenig anderes als die jeder Geschichtsdarstellung anhaftende fehlende Distanz zu direkt oder indirekt selbst Erlebtem angesprochen.

Eine „Wissenschaftsgeschichte des öffentlichen Rechts“ zu schreiben war Stolleis’ Intention gewesen (I, 5), und zwar „primär als Literaturgeschichte der wissenschaftlichen Erfassung, der dogmatischen Durchdringung und Systematisierung des öffentlichen Rechts“ (I, 43). Von den „Nachbardiziplinen“ der Gesetzgebungsgeschichte, der Verwaltungsgeschichte und der Verfassungsgeschichte, die durch Normorientierung und Institutionenausrichtung gekennzeichnet seien, setzt Stolleis seine Darstellung als „Geschichte der geistigen Produktion, des intellektuellen Klimas einer Zeit, der pädagogischen und schriftstellerischen Anstrengungen“ ab (I, 44) und kommt denn daher auch, eingestandenermaßen, in das Fahrwasser der Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (I, 46). Tatsächlich hat, um ein Ergebnis vorwegzunehmen, Stolleis’ Darstellung eine Lücke gefüllt wie ähnlich seinerzeit Wieackers „Privatrechtsgeschichte der Neuzeit“. Seine „Wissenschaftsgeschichte“ ist aber, wie mehrfach betont, nicht Ideengeschichte, aber andererseits auch nicht bloß „Reflexe“-Darstellung der „politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Geschichte“ (II, 6). Als „Text-Dokumente der damaligen Problemsicht“ ermögliche sie „den Zugang zur staatswissenschaftlichen inneren Konstitution“ und führe „zu den ‘Dingen selbst’“ (ebda).

Da Stolleis strikt auf eine Wissenschaftsgeschichte abstellt, beginnt diese „mit der Wissenschaft, d. h. im frühneuzeitlichen Mitteleuropa mit dem Universitätsfach oder mit außeruniversitären literarischen Erörterungen“, mit einem Verständnis des „ius publicum“ als eine „Disziplin“, was wieder „Lehrtraditionen“ und vor allem „einen Kanon gemeinsamer Fragestellungen“ voraussetze; „trotz aller mittelalterlichen Diskussionen“ wie etwa um „Kaiserwahl und Reichsverfassung“ erfüllten sich diese Kriterien „im strengen Sinn nicht einmal vor dem Jahr 1600“ (III, 48), trotz der vom Römischen Recht her bekannten Zweiteilung in „ius publicum“ und in „ius privatum“ sei erst jetzt „das öffentliche Recht als Sondermaterie innerhalb des gesamten Rechts“ (I, 44) erfaßt worden. Nicht nur in dieser zeitlichen Begrenzung zeigt sich einer der Unterschiede zur Privatrechtsgeschichte, nämlich durch deren schon wesentlich früher verfestigte Disziplinarietät, sondern auch in der räumlichen Begrenzung. Ein ius commune, wie es das Privatrecht auszeichnete, bildeten im öffentlichen Recht die europäischen Staaten nicht aus (I, 49). Anders als bei der europäisch verflochtenen Privatrechtsgeschichte kann sich Stolleis daher begründet auf das Römisch-deutsche Reich beziehen bzw. auf ein „Deutschland“ wie es politisch im Deutschen Bund bis 1866 organisiert und auch weiterhin in diesem Sinne geografisch verstanden wurde - bis in Renners Verfassungsentwurf für „Südostdeutschland“ von 1918 galten als solches geografisch in etwa die ehemaligen Reichsterritorien der Habsburger Monarchie. Da auch die Pariser Vororteverträge von 1919 keine Veränderungen des Wissenschaftsbetriebes brachten und Österreich schließlich von 1938 bis1945 dem Deutschen Reich einverleibt war, berücksichtigt Stolleis die hier betriebene Wissenschaft vom öffentlichen Recht bis 1945 mit (III, 6). Mit dieser räumlichen Abgrenzung steht die Darstellung in einem wohltuenden, weil sachlich gebotenen Kontrast zu jüngst erschienenen Verfassungsgeschichten mit ihrer Preußengewichtigkeit bzw. stillschweigenden Annahme einer kleindeutschen Grenze schon im Deutschen Bund, die in der Wissenschaftsgeschichte selbst nach 1866 kaum existiert hatte.

Zur gegenständlichen Umgrenzung versteht es sich fast von selbst, daß das Strafrecht, und zwar aus klaren historischen Gründen, nicht mitbearbeitet ist. Ebensolche Gründe machen es jedoch dem Verfasser vor 1800 schwer, Völkerrecht und „öffentliches Kirchenrecht“ auszuklammern (I, 49), für den Zeitraum danach aber scheidet Stolleis Völkerrecht, Kirchenrecht wie auch Lehenrecht und Privatfürstenrecht aus der Darstellung aus (II, 7), da sich diese Fächer nun eindeutig als eigene Disziplinen abgesondert haben. Nahezu als Unterscheidungsmerkmal zur Zeit vor und nach 1800 kann gelten, daß ab der jüngeren Epoche jene Fächer, die in dieser als „Staatswissenschaften“ verstanden wurden, und sich von der „Rechtswissenschaft“ emanzipiert hatten, nicht mitbehandelt werden (II, 8).

Die nahezu gleichgewichtigen Bände umfassen die Zeiträume 1600 bis 1800 als „Reichspublizistik und Policeywissenschaft“, 1800 bis 1914 als „Staatsrechtslehre und Verwaltungswissenschaft“ sowie 1914 bis 1945 als „Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur“. Mit „1800“ ist die Wende vom ancien regime zu neuen politischen Systemen markiert, sei es konservativ-neuständischer oder liberal-konstitutioneller Natur. Die Chiffre „1914“ für den ersten Weltkrieg bedeutet mit diesem für das Deutsche Reich wie auch Österreich den Untergang monarchischer Systeme, deren Ersatz durch „die Republik“ sowie schließlich die Einmündung in die Diktaturen. Diesen Zäsuren ist nicht nur wegen ihrer Berechtigung im Bereich des öffentlichen Rechts zuzustimmen, sie erklären sich auch dadurch, daß Stolleis seine Darstellung bewußt „als Teil der allgemeinen Geschichtswissenschaft verstanden“ wissen will (I, 43).

Das Generalthema von Band I ist praktisch die Entstehung des öffentlichen Rechts als eigener wissenschaftlicher Disziplin. Das Kapitel „Römisches und öffentliches Recht“ (I, 58 ff.) zeigt, inwieweit ersteres öffentlich-rechtliche Rechtssätze bereitstellte bzw. solche, an welche die Legisten anknüpfen konnten - eine Tragfähigkeit zur Ausbildung einer eigenen Disziplin aber bot es nicht. Während das Privatrecht bzw. das aus ihm entwickelte Privatrecht nach Stolleis in vielfältigster Weise „rezipierbar“ war, konnte das schon deshalb nicht für Herrschaftssysteme gelten, da sich diese, oft unter Ablehnung der vorhergehenden, ablösten. Da auch das „Römisch“-Deutsche Reich nicht mehr „römisch“ war, sondern eigene Herrschaftsregeln besaß, mußte schließlich gerade im 16. Jahrhundert die Untauglichkeit des Römisch-gemeinen Rechts für die Ausbildung eines öffentlichen Rechts evident werden. Staatsrechtsautoren folgten meist „dem übermächtigen aristotelischen Muster“ (I, 124), soferne sie sich nicht utopischem Denken verschrieben hatten. An der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert zeigen sich im Rahmen dieser „Politiken“ die Elemente eines öffentlichen Rechts, noch aber sind, so dieses Kapitel (I, 80ff.), „Politik und ius publicum“ verbunden. Im anschließenden Kapitel „Ius publicum Imperii Romano-Germanici“ (I, 126ff.) zeigt sich, wie dieses allmählich an Konturen gewinnt. Der auch von anderen Gebieten bekannte Prozeß der Verrechtlichung und im Zusammenhang damit die anschwellende Gesetzgebung gerade im 16. Jahrhundert, spezifische Staatsschriften und Aktenpublikationen, die Rechtsprechung von Reichskammergericht und Reichshofrat erweisen sich als neue Quellen und Bedingungen. Dem folgt bzw. aus all dem folgt ein neues Fach des universitären Unterrichts, dessen Beginn allerdings „nicht exakt zu datieren“ ist, zu den „frühesten Spuren“ zählen wohl die Disputationen von Arnold Clapmarius in Altdorf ab 1600 (I, 141). In flächendeckender und personengesättigter Weise führt Stolleis Themen und Literatur vor, dies auch im anschließenden Kapitel „Reich, Reichspublizistik und Universitäten“ nach 1648 (I, 225ff.). Nach dem Kapitel „Naturrecht und ius publicum universale“ (I, 268 ff.) fällt der Blick auf konkrete Orte mit ihren Vertretern: „Halle, Göttingen und das Ende der Reichspublizistik“( I, 298ff.). Wurde auf diese Weise das Entstehen der Wissenschaft vom Verfassungsrecht dokumentiert, so folgt in den beiden nächsten Kapiteln „Gute Policey“ (I, 334ff.) und „Policeywissenschaft und Policeyrecht“ (I, 366ff.) das des Verwaltungsrechts: Wieder sind es Literatur und Autoren wie auch Lehrstätten, welchen das Augenmerk hauptsächlich gilt, ebenso aber den Einwirkungen der „Strukturveränderungen der Verwaltung“.

Band II beginnt mit einer Bestandsaufnahme: „Das deutsche öffentliche Recht um 1800“ (II, 39ff.), das durch Wandel und Brüche gekennzeichnet ist: das Ende der Reichspublizistik, die nahezu strikte Zweiteilung der Rechtsordnung in öffentliches Recht und Privatrecht, der Beginn der historischen Rechtsschule und einiges mehr, dies alles allerdings doch bei einem gleitenden Wandel, unter Bewahrung des Überkommenen wie etwa Teilen der Reichspublizistik (II, 49). Neue Impulse bescherte der Rheinbund, wie besonders in der Souveränitätsfrage (II, 65f.). Der Zäsur des Rheinbundes folgten nahezu auf dem Fuß „Wiener Kongreß und Deutscher Bund (1815-1848)“, abermals mit der Beobachtung einer Überbrückung durch schon bisher Erarbeitetes (II, 76ff.). Virulent wurde nun besonders die Verfassungsfrage im Sinne des konstitutionellen Systems im Gegensatz zur Betonung des monarchischen Prinzips und des Art. 13 DBA, der freilich für mehrerlei Interpretationen Raum gab. Im wesentlichen gliedert sich die weitere Darstellung dieses Bandes für den Zeitraum vor 1848 in die Darstellung des allgemeinen Staatsrechts bzw. der allgemeinen Staatslehre, in das Staatsrecht der einzelnen deutschen Bundesstaaten sowie in die Verwaltungsrechtswissenschaft und Verwaltungslehre. Im letzteren Falle liegen vor 1848 die „Anfänge des Verwaltungsrechts“, ein eigenes Kapitel behandelt die „Staatsrechtslehre in der Revolution von 1848“. Die Zeit nach 1848 erfassen ähnliche Themenblöcke: „Staats- und Verwaltungsrecht der Einzelstaaten bis 1914“, „Allgemeines Deutsches Staatsrecht - Reichsstaatsrechtslehre“, „Verwaltungsrechtswissenschaft und Verwaltungslehre 1850 - 1914“ und schließlich „Allgemeine Staatslehre 1850 - 1914“. Die Fülle des jeweils Gebotenen ist beachtlich, jede Zeile ist wichtig. Beispielhaft sei verwiesen auf den um 1850 auch das öffentliche Recht erfassenden „Methodenwandel des Zivilrechts“ (II, 330ff.) in Form der Pandektisierung, auf die Rolle der Grundrechte ab 1867 bzw. 1870/71 (II, 371ff. - die es freilich in Einzelstaatsverfassungen gab), wozu etwa zu Recht in besonderer Weise das Thema der tatsächlich mit den Grundrechten nicht zur Gänze deckungsgleichen subjektiv-öffentlichen Rechte hervorgehoben ist; weiters auf das „Entstehen eines ‘Allgemeinen Teils’“ (II, 394ff.); auf das Entstehen eigener bzw. dem Zivilrecht nachgebildeter Institutionen wie Verwaltungsakt bzw. Öffentliches Eigentum (II, 410ff.). In gelungener Weise sind nicht nur die Faktoren der Wissenschaftsentwicklung, die einzelnen Personen sowie die Universitäten und besonders auch die „Zeitschriften“ (II, 417ff.), berücksichtigt, selbstverständlich der politische Rahmen, sondern, wie eben erwähnt, auch die Ergebnisse der Wissenschaft, nämlich „Dogmatische Hauptfragen“ (II, 364ff.) bzw. derartige „Positionen“ (II, 410ff.). Der Band klingt aus mit der Frage „Nationalstaat oder Staat der Industriegesellschaft?“ (II, 455ff.). Die Antwort ist vielschichtig und geht über eine Bejahung sowohl des einen wie des anderen Charakters hinaus, was letztlich seinen Grund in der behandelten Materie, nämlich der Wissenschaft vom öffentlichen Recht hat, die keineswegs einheitlich in das neue Jahrhundert hinübertrat, zumal der Staat seine Legitimationen nach 1900 aus anderen Grundlagen zog als um die Mitte oder gar zum Beginn des Jahrhunderts.

Band III macht deutlich, wie sehr sich das Umfeld gegenüber den Ursprüngen vor 1800 gewandelt hat. Politische Ereignisse treten - nicht nur von der Interessenslage des Autors her - weit mehr in den Vordergrund, tatsächlich gab es ab 1918 nahezu eine Inflation von Identitäts- und Legitimitätsgrundlagen, und dies keineswegs in zeitlicher Abfolge, sondern in einer bis zum Kampf auf der Straße reichenden Gemengelage. Dazu kam, daß der erste Weltkrieg nach neuen Organisations- wie Handlungsformen verlangte, im Verfassungs- wie im Verwaltungsrecht, von denen es klar war, sie würden zum Teil das Kriegsende überdauern. Stolleis bleibt trotz all dieser Ablenkungen seiner eingeschlagenen Methode treu: Die wissenschaftliche Produktion, die einzelnen Wissenschafter, mehr aber noch ihre Schulen prägen weiterhin die Darstellung. Auch die neue „Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer“ (ab 1922) erfährt ihre verdiente Würdigung (III, 186ff.). Die Ergebnisse der Entwicklung runden das Bild ab: institutionell (z. B. öffentlich-rechtlicher Vertrag) wie systematisch als „Ausdifferenzierung des Verwaltungsrechts“ im Sozialrecht, Steuerrecht etc. (III, 216ff.). Dem gegenüber sei die Verwaltungslehre „an den Rand gedrängt“ worden (III, 242), die tatsächlich „nur in Österreich länger überlebte“, aber doch nur um weniges. Das Kapitel „Staats- und Verwaltungsrechtslehre nach der Machtübergabe“ liest man mit Beklemmung: „Sommersemester 1933“ (III, 250ff.) bringt eine Momentaufnahme vor kühl ausgeleuchtetem Hintergrund, daran schließen an „Vertreibung und Revirement an den Universitäten“, deren 29 werden behandelt. Nicht minder interessant ist das zum Ende bzw. zur Umorientierung zahlreicher Zeitschriften Dokumentierte. Derartige Fakten haben aber nicht einfach derart dokumentarischen Wert, sondern auch einen erklärenden im Sinne „wie es dazu kam“. Was folgt umschreibt Stolleis als „Zerstörung und Selbstzerstörung eines Faches“  III, 316ff.) - auch hier bleibt er mit der Ausrichtung auf Sachfragen wie etwa „Streit um den Rechtsstaat“ (III, 339ff.), auf „Lehre und Prüfung“ (III, 341ff.), im folgenden Kapitel etwa im Hinblick auf die „Studienordnung von 1935 und die neuen Lehrbücher“ (III, 355f.), seiner Grundkonzeption treu. Natürlich geht es auch um anderes wie etwa grundsätzlich die „Wendung zur Verwaltung“ (III, 351ff.) auf Kosten eines rechtsstaatlichen Verfassungsgefüges, ja einer Verfassung überhaupt oder um die „Systematisierung nach Zwecken“ (III, 369f.) als Folge des Verfalls von Gewaltenteilung und Föderalismus, der Verwischung des Unterschiedes zwischen Gesetz, Verordnung und Einzelrechtsakt, „die Frage der Rechtsform (rückte) in den Hintergrund“ (III, 369). Diese Abschwächung und schließlich der Niedergang des systematisch-positiven Verwaltungsrechts scheint nahezu notwendig zur „Wiederbelebung der Verwaltungslehre“ zu führen (III, 373), freilich blieb es bei Ansätzen angesichts des Übergewichts der Politik, zumal sodann im zweiten. Weltkrieg, als „unübersehbar...das Recht nicht mehr Selbstzweck (war), sondern ein jederzeit verzichtbares Mittel“ (III, 401). Hatte Stolleis in den voraufgehenden Bänden auf zahlreiche Regimebrüche und Wandlungen der Gesellschaft zu verweisen und sie zu erklären gehabt, so stellt er sich auch jetzt diesem Thema vor allem angesichts der „Vernichtung der europäischen Juden und anderer ‘Gegner’“ (III, 402ff.): Das Funktionieren der Verwaltung bis hin zum Lokomotivführer der Reichsbahn gerät in den Blick, freilich bei dem Bewußtsein, daß derartige „Helfer“, „ohne unmittelbar involviert zu sein, ihre Tagesarbeit verrichten“ (III, 404). Für das Thema seiner Gesamtdarstellung kommt es Stolleis „darauf an, die Lage des Faches und ihrer Vertreter in einer Situation zu kennzeichnen, in der ,öffentliches Recht’ immer weniger wichtig wurde, in der aber alle seine universitären Vertreter sich in der Lage (von) ...,Mitwirkenden’ befanden“ (III, 408): Wieder sind es literarische Produktion und ihre Produzenten und die „Universitäten im Krieg“ (III, 410). Die personelle Komponente führt notgedrungen zur Frage „Staatsrechtslehre im Widerstand?“ (III, 411ff.): Die Namensliste ist beachtlich, es sind aber nicht die „opinion leaders“. Für alle jedenfalls gilt nach Stolleis: „Am Ende standen sie gemeinsam vor dem Nichts“ (III, 414).

Ein Abschluß der Wissenschaftsgeschichte des öffentlichen Rechts ist dies freilich nicht - man darf und will auf eine Fortsetzung hoffen! Das Werk der drei Bände spricht für sich, besser noch: für den Verfasser. Es ist eine einzig und einzigartig dastehende Leistung, zumal es oft an Vorarbeiten fehlte. Wenn Stolleis so vielfach etwa über den universitären Unterricht reflektiert und damit dessen Bedeutung für die Rechtsentwicklung ins Bewußtsein hebt, so muß man bedauern, daß sein hier angezeigtes Opus in eine Zeit des Niedergang des umfassend-wissenschaftlichen Universitätsstudiums fällt. Bei einer auch historischen Dimension des Rechtsunterrichts, wie es einem wahrhaft akademischen Studium entsprechen würde, müßte es zu einer spürbaren Akzentverschiebung im Fache Rechtsgeschichte führen, die von unschätzbarem Nutzen auch für das geltende Recht wäre. Die geistig-kulturelle Verarmung des Rechtsunterrichts in Deutschland wie - noch - in geringerem Maße in Österreich durch eine Konzentration auf einen bloß handwerklichen Positivismus der Praxis und kasuistischer Spitzfindigkeiten verweigert den Studierenden eine Fülle an Erkenntnissen, wie sie Stolleis’ Werk vermittelt.

 

Wien                                                                                                              Wilhelm Brauneder