Strukturen und Wandlungen der ländlichen Herrschaftsformen vom 10. zum 13. Jahrhundert.

* Deutschland und Italien im Vergleich, hg. v. Dilcher, Gerhard/Violante, Cinzio (= Schriften des italienisch-deutschen historischen Instituts in Trient 14). Duncker & Humblot, Berlin 2000. 455 S. Abb. Besprochen von Frank Theisen. ZRG GA 119 (2002)

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Strukturen und Wandlungen der ländlichen Herrschaftsformen vom 10. zum 13. Jahrhundert. Deutschland und Italien im Vergleich, hg. v. Dilcher, Gerhard/Violante, Cinzio (= Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient 14). Duncker & Humblot, Berlin 2000. 455 S. Abb.

 

Vorzustellen ist ein Band einer Tagung, die im September 1994 unter dem Thema „Ländliche Herrschaftsformen in der Wandlungsperiode des Mittelalters (1000-1250)“ in Trient stattfand. Unter der Leitung von Cinzio Violante und Gerhard Dilcher trafen sich dreizehn Wissenschaftler aus Italien, Deutschland, Spanien, Frankreich, England und den USA um sich mit der Entwicklung und dem Wandel im Bereich der ländlichen Herrschaftsstrukturen auseinanderzusetzen. Die Beiträge liegen nunmehr nach sechs Jahren in deutscher Übersetzung vor. Dabei muß angemerkt werden, daß die italienische Ausgabe schon 1996 erschienen ist.[1] Die Bände weisen jedoch einige Unterschiede auf. In dem deutschsprachigen Band werden die Beiträge, die die methodische Problematik und Begrifflichkeiten behandeln, dargeboten. In einem zweiten Teil folgen die Aufsätze, die sich mit dem Wandel der Herrschaftsstrukturen im ländlichen deutschen Raum befassen; diese sind methodisch in der Weise angelegt, daß sie vor allem sich als Problemanalysen verstehen, während im dritten Teil die Darlegungen zur Herrschaft im mittelalterlichen Italien vor allem detailreiche regionale Darstellungen sind. Der Aufbau ist sinnvoll, da er vom Allgemeinen zum Besonderen geht und somit die Ausführungen und die zugrundeliegende Problematik transparent macht. Die methodischen Beiträge befassen sich auch mit den Forschungstraditionen, die den unterschiedlichen Begrifflichkeiten zugrunde liegen; daher nahmen die Herausgeber auch eine Darstellung zur französischen Historiographie mit auf, die Auswirkungen auf die deutsche und italienische Geschichtswissenschaft gehabt hat. Die einführenden und übergreifenden Teile dieses Bandes wurden von Violante, Dilcher, Dominique Barthélemy und Klaus Schreiner verfaßt. So gibt Violante einen Überblick über ländliche Herrschaftsstrukturen im historischen Kontext des 10. bis 12. Jahrhunderts, während Barthélemy über den Herrschaftsmythos der französischen Herrscher referiert. Schreiner nimmt sich des Begriffes der Grundherrschaft an, den er in Übereinstimmung mit Walter Schlesinger als eine neuzeitliche Umschreibung einer mittelalterlichen Erscheinung ansieht. Die Beiträge, die sich mit den ländlichen Herrschaftsstrukturen und der Grundherrschaft in Deutschland befassten, wiesen einerseits regionale Bezüge auf, andererseits aber auch eine übergreifende und vergleichende Darstellung. Franz Irsigler widmet sich in einem umfassenden Überblick der wirtschaftlichen Bedeutung der frühen Grundherrschaft, wobei er Beispiele aus dem gesamten regnum theutonicum heranzieht. Werner Rösener beschränkt seine Ausführungen auf Struktur und Entwicklung der Grundherrschaft im deutschen Altsiedelgebiet im 10. bis 13. Jahrhundert. Eine Ergänzung dazu bilden die Darlegungen Martina Schattowskys zur Grundherrschaft in den Siedlungsgebieten zwischen Elbe und Oder. Sie geht der wichtigen Frage nach, ob es eine Grundherrschaft auch ohne Gerichtsbarkeit gegeben habe. Ihr zeitlicher Rahmen ist auf das 12. und 13. Jahrhundert ausgerichtet. Hanna Vollrath widmet sich der klösterlichen Grundherrschaft am Beispiel von Werden und Rupertsberg. Abgeschlossen werden die dem deutschen Siedlungsraum gewidmeten Beiträge von Dietmar Willoweit zu Grundherrschaft und Territorienbildung, der sich vor allem der begrifflichen Unterschiede zwischen „Landherren“ und „Landesherren“ in deutschsprachigen Urkunden des 13. Jahrhunderts widmet, die vor allem den heutigen österreichischen Raum betreffen.

Der letzte Teil betrifft die ländliche Herrschaft in Oberitalien. Diese Beiträge widmen sich gezielt der regionalen Bedeutung und Ausbildung von Herrschaft und ihren Unterschieden auf lokaler Ebene. Giancarlo Andenna untersucht die rechtliche Anerkennung ländlicher Herrschaft in den Grenzbereichen zwischen Lombardei und dem östlichen Piemont im 11. und 13. Jahrhundert. Andrea Castagnetti widmet sich der wichtigen Thematik der Arimannen und Herren in der Zeit von circa 900 bis zur frühen kommunalen Epoche im 12. Jahrhundert. Die beiden Beiträge von Piero Brancoli Busdraghi und Chris Wickham widmen sich den ländlichen Herrschaftsstrukturen und ihren Trägern in der Toskana vor allem in der Zeit vom 11. bis 13. Jahrhundert.

Einige Beiträge sollen an dieser Stelle näher erörtert werden, wobei vor allem auf die Bedeutung für die rechtshistorische Forschung geachtet wird. Vorzustellen sind die Ausführungen Dilchers, der sich mit Problemen und Perspektiven der Forschungen zur Grundherrschaft befaßt. Hervorzuheben ist, daß er eine Synthese zwischen beiden Ländern bietet, wobei er die großen Linien besonders hervorhebt. Ähnlich wie Violante zeigt er die Grenzen der Tagung und ihrer Ergebnisse auf, wobei er vor allem darauf hinweist, daß nicht alle Probleme gleichwertig betrachtet oder auch nur angerissen werden konnten (96). Wichtig sind die Ausführungen zur unterschiedlichen Betrachtungsweise zwischen öffentlichen und privaten Rechten, die in der italienischen Forschung vorgenommen wird. Privates Recht gründe sich auf dem Bodeneigentum, während das öffentliche Recht vom König abgeleitet wird. Dilcher hebt hervor, daß diese starke Trennung oftmals nicht durchzuhalten ist (101). Eine solche strenge Teilung ist in der neueren deutschen Forschung bisher unbeachtet geblieben, seit sich eine genossenschaftliche Sichtweise mehr und mehr durchsetzte. So weist Dilcher dezidiert darauf hin, daß die Betrachtung aus dem dinggenossenschaftlichen Verfahren heraus, auch auf Oberitalien Anwendung finden müßte, da in den placita bis in das Zeitalter der Kommunalisierung eine Versammlung der Gerichtsgenossen stattfand. Interessant wäre es die beiden Forschungstraditionen nunmehr zu verknüpfen. Es ist das Verdienst Dilchers, auf den genossenschaftlichen Charakter der Gerichtsbarkeit im Zusammenhang der Herrschaftsbildung wieder hingewiesen zu haben. Einen ähnlichen Ansatz vertrat auch Vollrath anhand von Beispielen aus entlegenen Besitzungen eines Klosters.

Hervorzuheben ist der Beitrag Schattowskys. Sie widmet sich in ihren Ausführungen dem Landesausbau im slawischen Altsiedelland östlich der Elbe. In ihrer Einleitung weist sie darauf hin, daß es ihr um die Frühphase der deutschen Ostsiedlung (zur Problematik der Terminologie siehe die Darstellung der Verfasserin, 139-140) geht, wobei sie vor allem vergleichend herangehen und ihre Ergebnisse in eine internationale Betrachtung rücken möchte. Wichtig ist dabei die Aussage, daß man wegen der Quellenarmut vor und nach Beginn der hochmittelalterlichen Siedlung (137-138) kaum gefestigte Aussagen machen kann und es ein falscher Ansatz wäre, alles was nicht als landesherrlich definiert werden kann, mit dem Begriff der „Grundherrschaft“ zu umschreiben.[2] Nach ihrer Ansicht ist die Ostsiedlung in die gesamteuropäischen Siedlungsvorgänge einzuordnen. Sie geht von der Darstellung Schlesingers[3] ab, daß der Adel in den Kolonisationsgebieten aus eigenem und nicht aus abgeleitetem Recht Herrschaft und Gerichtsbarkeit ausübte. Nach ihrer Auffassung war in den Ostgebieten die Herrschaftsbildung wie in den übrigen Regionen eine komplexe Angelegenheit, die man schematisch vereinfachend nicht darstellen könne. Vielmehr müsse betrachtet werden, ob beispielsweise mit Grundbesitz und Einkünften Herrschaftsrechte verbunden waren. Sie legt dar, daß eine differenzierte Betrachtung notwendig sei, in der die Entwicklung vor der Kolonisation eine besondere Berücksichtigung erfahren müsse. Vor allem führt sie neuere Forschungsansätze und ihre Differenzen auf verschiedenartige Begriffsdefinitionen von Grundherrschaft und den Abhängigkeiten zwischen Herrn und Bauern zurück, so daß sie für eine „terminologische Genauigkeit“ eintritt (149). Daher plädiert sie für regionale Detailbetrachtungen, um genau die Bildung von Grundherrschaft untersuchen zu können (150); erst danach seien Verallgemeinerungen möglich. Ebenso legt sie stringent dar, daß die Kolonisation nicht einheitlich vor sich ging, sondern die Siedler aus den verschiedensten Regionen kamen, die unterschiedliche Rechtstraditionen hatten. Daher ist es richtig, daß sie nicht von einem deutschen Recht ausgeht, sondern von vielen Rechtsgewohnheiten, Traditionen und Bräuchen, die miteinander nicht immer korrespondierten. Sie kommt zu dem wichtigen Ergebnis, daß eine tatsähliche Herrschaft nicht nur aus dem Grundbesitz an sich bestehen konnte, sondern weitere Komponenten wie die Gerichtsbarkeit in sich vereinen mußte. Die Darlegungen der Autorin sind deswegen bedeutsam, weil sie die regionalen Eigenheiten hervorhebt und vor einer undifferenzierten Betrachtungsweise warnt. Ähnlich wie in Italien müßte auch in Deutschland Herrschaft zunächst an vielen Einzelbeispielen untersucht werden. Darauf dezidiert hingewiesen zu haben ist das Verdienst Schattowskys.

Hinzuweisen ist auf die Ausführungen Willoweits, der einen Bedeutungswechsel in der Verwendung des Begriffes dominium im 12. Jahrhundert feststellt. Wie er folgerichtig darlegt, meint dieser terminus auch in deutschen Quellen des 13. Jahrhunderts eine „vorrangig eigentumsrechtliche Kategorie“ (218). Wie der Verfasser schlüssig zeigt, nimmt in den Kanzleien der Fürsten sowie in der Kanzlei des Königs „der Gebrauch gelehrter juristischer Begriffe und Formeln“ zu. Nicht zu unterschätzen ist folglich die Beeinflußung der Kanzlei und die rechtliche Vorstellungswelt der kirchlichen Machthaber: Die Wirkungen der päpstlichen Delegationsgerichtsbarkeit und die Anwendung des römisch-kanonischen Prozeßrechts darf auch für periphäre Gebiete nicht vernachlässigt werden.[4] Willoweit geht davon aus, daß der Herr eines dominium ein eigenes/eigentumsähnliches Recht an dem Boden hat, woraus sich Abgaben und die Gerichtsbarkeit herleiten[5]; daher sieht er den dominus als den Eigentümer eines dinglichen Rechts, das auch räumlich abgegrenzt ist, ohne daß es zur Ausbildung einer politischen Herrschaft gekommen sein muß (219). Als Beleg für seine Ausführungen erörtert er dies an den vor allem im österreichischen Raum vorkommenden unterschiedlichen Begriffen von „Landesherr“ und „Landherr“. Aus seinen Darlegungen zu diesem Begriffspaar kommt er zu dem Ergebnis, daß die Grundherrschaft nicht das „entscheidende Kriterium für die Staatsbildung“ gewesen sei (232). Er geht davon aus, daß es dazu einer weiteren Rechtsbeziehung mit dem Reichsoberhaupt bedurfte. Relevant bei diesem Beitrag ist, daß der Autor auf den Bedeutungswechsel der Begriffe dominus und dominium erneut hingewiesen hat, die für die Interpretation der Herrschaftsbildung ab dem 12. Jahrhundert äußerst wichtig sind und in der historischen Forschung (bis jetzt) kaum wahrgenommen wurden.

Vorgestellt werden soll noch der Beitrag Castagnettis, der sich mit der Problematik der Arimannen, (wohl) freie Männer mit eigenen Gütern (272), in der Grenzregion zwischen Lombardia und Romania im Gebiet nördlich von Ferrara befaßt. Diese Untersuchung ist deshalb interessant, weil der Verfasser eine Gruppierung untersucht, die in beiden Stammesgebieten auftaucht und wichtige öffentliche Funktionen wahrnahm (279). Er stellt dabei vor allem ihre Beziehungen zu den höheren Amtsträgern, wie beispielsweise den Grafen, dar, die in der Zeit des 11. und 12. Jahrhunderts nachließen und durch die Kommunalisierung allmählich zurückgedrängt wurden. Damit war das Verschwinden der Arimannen vorgezeichnet, da die Städte immer mehr die Gerichtsbarkeit in ihrer Umgebung übernahmen und somit auf diese Personengruppe nicht mehr angewiesen waren. Dies zeigt sich vor allem sehr deutlich in den frühzeitig eigenständigen Städten wie Bologna oder Modena. Der Beitrag zeigt deutlich die Funktion und Bedeutung dieser Gruppierung auf, die nicht zu einer eigentlichen Grundherrschaft gelangt ist und durch die Kommunalisierung zurückgedrängt worden ist.

Hilfreich wäre ein Orts-, Personen- und Sachindex gewesen, der die Benutzung des Bandes erleichtert hätte.

Alles in allem liegt hier ein wichtiger Band vor, dessen Ergebnisse für die rechtshistorische Forschung äußerst relevant sind. Da die italienischen Beiträge nunmehr in Übersetzung vorhanden sind, dürfte einer breiten Rezeption dieser Darlegungen im deutschsprachigen Raum kein Hindernis mehr entgegenstehen. Die Forschungsansätze in diesem Band sind zu begrüßen.

 

Leipzig                                                                                               Frank Theisen

[1] C. Violante/G. Dilcher (ed.), Strutture e trasformazioni della signoria rurale nei secoli X-XIII, 1996.

[2] Siehe so auch P. Cammarosano, Cronlogia della signoria rurale e cronologia delle istituzioni comunali cittadine in Italia: Una nota, in: A. Spicciani/C. Violante (ed.), La signoria rurale nel medioevo italiano, volume I, 1997, 14-15.

[3] W. Schlesinger, Zur Gerichtsverfassung des Markengebietes östlich der Saale im Zeitalter der deutschen Ostsiedlung, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 2 (1953) 86-87.

[4] In diesem Zusammenhang ist auf den außerordentlich wichtigen Sammelband von P. Herde/H. Jakobs (Hrsg.), Papsturkunde und europäisches Urkundenwesen, 1999 hinzuweisen, in dem die Autoren dezidiert die Beeinflußung der verschiedenen Kanzleien durch die Papsturkunde nachweisen. Vor allem die Legatentätigkeit und die Delegationsgerichtsbarkeit sorgte für eine schnelle Verbreitung päpstlicher Rechtsauffassungen. Siehe auch die Besprechung dieses Bandes von F. Theisen, in: Ius Commune 27 (2000) 449-454.

[5] Vergleiche D. Willoweit, Rezeption und Staatsbildung, in: D. Simon (Hrsg.), Akten des 26. Deutschen Rechtshistorikertages, 1987, 38.