Taeger, Angela, Intime Machtverhältnisse.
HommensTaeger20010804 Nr. 10316 ZRG 119 (2002) 48
Taeger, Angela, Intime Machtverhältnisse. Moralstrafrecht und administrative Kontrolle der Sexualität im ausgehenden Ancien Régime (= Ancien Régime, Aufklärung und Revolution 31). Oldenbourg, München 1999. VI, 179 S.
Es handelt sich um die Habilitationsschrift der Verfasserin, die 1997 beim Fachbereich 3 der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg vorgelegt und angenommen wurde. Die Schrift umfasst 179 Seiten, davon 22 Seiten Anhang, Archivalien und Literatur, Abkürzungen und Abbildungen sowie ein Sach- und Personenregister.
Zum Inhalt: Zur Zeit ist in der abendländischen Welt eine Rechtsreform im Gange in Bezug auf deviantes Sexualverhalten, wie es in der Geschichte wohl noch nie der Fall war. Die rechtliche Möglichkeit einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft zweier Homosexueller wird in den Ländern des (ehemals) christlichen Abendlandes eröffnet.
Die Diskussion hierum wird allenthalben geführt, mit Verve und großem Engagement. Diese Arbeit widmet sich einem sehr ähnlichen Thema in der Rechtsgeschichte, näherhin der des französischen Rechts des Ancien Régime und gibt auf ihre Weise einen bemerkenswerten Beitrag zu oben genannten Diskussion. Mit Recht bemerkt die Verfasserin einleitend (S. 1 Anmerkung 2), dass die jüngere rechtshistorische Forschung das Thema Sexualdelinquenz bzw. Sittlichkeitsstrafrecht „offensichtlich als vermeintlich sachfremd, der Sozialgeschichtsforschung angehörend, abgeschrieben“ hat. Hingegen habe sich seit dem Ende der 60-er Jahre des letzten Jahrhunderts die „Auseinandersetzung mit der Sexualität, mit ihrer Entwicklung und ihrer Steuerung, sehr schnell zu einem selbständigen, mittlerweile unübersehbaren Forschungsfeld entwickelt. Es ist durch Interdisziplinarität gekennzeichnet, wird jedoch von historisch orientierten Soziologinnen und Soziologen beherrscht“ (S. 2, Anm. 3).
Die Verfasserin nun, zeigt am Beispiel der vom Recht geforderten Verfolgung der männlichen Homosexualität - im französischen Sodomie genannt – in der Stadt Paris im Laufe des 18. Jahrhunderts auf, wie sich diese Verfolgung bis zur Großen Revolution fast erledigt hat und wie sich so, ganz im Unterschied zum deutschen Sittlichkeitsstrafrecht, schon damals gegenüber sexueller Devianz dieser Art große Liberalität ausbildete. Dabei weist sie nach, wie diese Liberalisierung zustande kam: Nicht durch die Vorgabe des aufgeklärten Gesetzgebers, sondern durch einen Machtkampf zwischen der Polizei und den ordentlichen Gerichten.
„Aus welchem Grund aber bedient sie sich gerade der Sexualdelinquenz als Profilierungsmittel, und warum skandalisiert und dramatisiert sie die Sodomie, nicht anderes von der heterosexuellen, monogamen, prokreativen Norm abweichendes Verhalten – den Verkehr mit Prostituierten etwa?“ (S. 144).
Die Verfasserin gibt darauf eine Antwort, die aus der Geschichte im Umgang und der Beurteilung von Sittlichkeitsverbrechern verständlich wird. Seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert soll die Polizei anstelle der kirchlichen Instanzen, und ohne Zutun der ordentlichen Gerichte die Sodomie kontrollieren. Traditionsgemäß galt diese ja als Haeresie und zählte zu den sog. cas royaux. Keine andere Deliktgruppe als die sexueller Vergehen unterliegt so eindeutig ausschließlich moralisch geleiteter Beurteilung. Kein anderer Tatbestand als eine sexuelle Normabweichung also demonstrierte deutlicher einerseits die Defizite herkömmlicher Gerichtsbarkeit, andererseits die Anpassungsfähigkeit des polizeilich-administrativen Vollzugs an die Erfordernisse des Modernisierungsprogramms“ (S. 145). Denn der aufgeklärte Monarch, in dessen speziellem Auftrag die Polizei tätig wird, wünscht eben eine solche Modernisierung, die u. a. auch darin bestehen soll, dass gerade die Sexualdelikte nur dann verfolgt werden sollen, wenn Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit gegeben ist. So soll sein Blick anhand dieses Beispiels der Sodomie auf die Defizite der Gerichtsbarkeit hingelenkt werden, wobei gerade am Beispiel der Sodomie, mehr als an anderen Sittlichkeitsdelikten, sinnfällig und mit relativ geringem Aufwand dargelegt werden kann, „dass die überkommenen strafrechtlichen Verurteilungsprozeduren nicht nur moralisch befangen, also überholt sind, sondern darüber hinaus nur unsystematisch greifen, fahrlässig, gefährlich sind“ (S. 145). Die Bestrafung von Sodomisten durch Verbrennung, wie es zuletzt 1750 im Fall Diot/Lenoir in Paris geschah, „pour faire un exemple“, wird mehr und mehr Ausnahme, da sie wie die Sexualdelikte überhaupt, keinerlei finanziellen Gewinn erbringen, weswegen sie von den ordentlichen Gerichten verschleppt, beiläufig oder gar nicht verfolgt werden. In dem Maß, wie diese Bestrafung ausbleibt und der viel weniger rigiden Verfolgung durch die Polizei Raum gibt, verliert die Sodomie ihr Etikett als Kapitalverbrechen.
Schuld daran ist die Unbeweglichkeit und Trägheit der Jurisdiktion. Indem die Polizei Sexualdelikte wie Sodomie und auch Prostitution nur unter den Aspekten der öffentlichen Ordnung und Sicherheit verfolgt, wird die traditionell-repressive Regulierung der Sexualität eliminiert. Indem sich die Polizeigewalt dieser Delikte annimmt, gewinnt sie an Macht gegenüber den Gerichten, deren Macht in diesem Bereich schrumpft. Die spezifische innenpolitische Situation führt im Frankreich des ausgehenden Ancien Régime zu dieser Verschiebung der Macht:
Von den Gerichten hin zur polizeilichen Exekutive, wird das tradierte Muster repressiver Sexualitätskontrolle unterdrückt – „und lässt Frankreich zur Ausnahme von einer vermeintlichen Regel werden“ (S. 146). Frankreich hat hier im 18. Jahrhundert bereits geleistet, was in vielen anderen Staaten Europas erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts erreicht wurde.
Ob man allerdings der Schlussfolgerung der Verfasserin so und insgesamt zustimmen kann, scheint fraglich. Sie folgert S. 151: „Die Aufklärung mag der revolutionären Gesetzgebung den Weg bereiten, in Hinblick auf die strafrechtliche Würdigung der Sodomie aber ist ihr Einfluss ebenso wenig revolutionierend, wie die permissive Haltung der revolutionären Gesetzgebung angesichts dieser Materie eine wirklich originelle. Nicht die öffentliche Kritik – sondern verunsicherte absolute Monarchen, nicht das revolutionäre Freiheitsversprechen – sondern die politische Klugheit sich etablierender Polizeichefs wirken in Frankreich auf eine Erweiterung individueller Gestaltungsmöglichkeiten von Intimität hin“. M. E. ist doch die Aufklärung und der damit verbundene Freiheitsdrang sehr wohl mitentscheidend, vielleicht sogar hauptentscheidend für diesen Vorgang, der wahrhaft zu einem „step without parallel in Western civilization“ geworden ist, was man noch heute an der Mentalität der Franzosen ablesen kann, dulden sie doch keinen Blick von außen, auch und gerade vom Staat, in ihre Privatsphäre und gar in ihr Intimleben.
Trier Maximilian Joh. Hommens