Block, Nils, Die Parteigerichtsbarkeit der NSDAP
Block, Nils, Die Parteigerichtsbarkeit der NSDAP (= Europäische Hochschulschriften 2, 3377). Lang, Frankfurt am Main 2002. XI, 238 S.
Die NSDAP-Parteigerichtsbarkeit ist noch nicht Gegenstand einer zusammenhängenden Darstellung gewesen. Lediglich einige Aspekte dieser Gerichtsbarkeit sind bisher von Historikern herausgestellt worden, so die Formalisierung der innerparteilichen Konfliktregelung durch die Parteigerichte, die auch als Mittel zur Einschüchterung und Unterdrückung der Bevölkerung, insbesondere der Beamtenschaft gedient hätten. Es ist deshalb zu begrüßen, dass sich Block der Analyse der rechtlichen Grundlagen, der Verfahrensweise und der Spruchpraxis der Parteigerichte aus rechtshistorischer Sicht in seiner Darstellung angenommen hat. Die Bedeutung der Parteigerichte für die NSDAP beschrieb Walter Buch als Oberster Parteirichter 1934 dahin: „Die Parteigerichte haben sich stets als die eisernen Klammern der Bewegung zu betrachten, die den stolzen Bau der NSDAP, den politische Leiter und SA-Führer in mühevoller Arbeit aufgeführt haben, zusammenzuhalten. Ihn vor Rissen und Erschütterungen zu bewahren, ist die vornehmste Aufgabe der Parteigerichte. Die Parteirichter sind nur ihrem nationalsozialistischen Gewissen verpflichtet und keines politischen Leiters Untergebene, und untertan sind sie nur dem Führer“ (S. 1). Bereits durch die Satzung der NSDAP vom 29. 7. 1921 wurde ein Untersuchungs- und ein Schlichtungsausschuss eingesetzt. Hierdurch hatte sich Hitler ein Instrument geschaffen, um die Bildung einer effektiven Opposition gegen seinen Führungsanspruch zu unterbinden: „Jeder Versuch, gegen die von nun an bestehende innere Ordnung der Partei vorzugehen, konnte durch die Parteigerichte geahndet werden“ (S. 9). Der Untersuchungsausschuss hatte alle Anträge auf Mitgliedschaft in der Partei sowie auch die Parteiausschlussverfahren zu beurteilen. Ihre eigentliche Bedeutung erhielten die Ausschüsse erst nach der Neugründung der Partei (bis 1933 ein rechtsfähiger Verein), bei der die beiden Gremien zu einer Institution unter der Bezeichnung „Untersuchungs- und Schlichtungsausschuss“ (Uschla) zusammengefügt wurden. Hauptaufgabe der Ausschüsse waren nach der Parteisatzung vom 25. 5. 1926 neben der Prüfung von Aufnahme- und Parteiausschlussanträgen die friedliche Schlichtung von Streitigkeiten innerhalb der Partei. Der Uschla mit dem Sitz in München wurde bald der Oberste Gerichtshof der Partei, der den Gau- und Ortsuschlas vorstand. Die Parteigerichte bestanden aus dem Vorsitzenden und zwei Beisitzern. Da die Gerichte von Anfang an als Ausführungsinstrumente der Partei konzipiert waren, verzichtete die Satzung auf genau formulierte Ausschlusstatbestände, damit die Parteirichter möglichst frei entscheiden konnten. S. 20ff. behandelt Block die Biographien der ersten Richter des Münchner Parteigerichts: Bruno Heinemann (oberster Parteirichter bis 1927; ehemals Mitglied des alten Offizierskorps), der Hitler keineswegs immer den erwarteten „blinden Gehorsam“ entgegenbrachte, Karl Osterberg, Ulrich Graf, Hans Frank und als Nachfolger Heinemanns Walter Buch. Buch fügte sich widerstandslos Hitler, auch wenn er gegenteiliger Meinung war, und baute die Parteigerichtsbarkeit zu einem wohlorganisierten System aus, „das Hitlers Herrschaft über die Partei sorgfältig schützte“ (S. 25). Buch blieb bis 1945 oberster Parteirichter, auch wenn seit 1936 wegen seiner Kampagne zur Hebung der „Ehemoral in Volk und Bewegung“ das gegenseitige Vertrauen zwischen Hitler und ihm erschüttert war.
1929 bekamen die Uschlas „Richtlinien“, die sich an die Strafprozessordnung anlehnten und den Eindruck relativer Rechtsstaatlichkeit vermittelten. Gleichwohl ließen auch sie es nicht zur Bildung einer von der politischen Führung unabhängigen Parteigerichtsbarkeit kommen, sondern befestigten nur eine Art gegenseitiges Kontrollsystem innerhalb der Partei. Die im April 1931 geänderten „Richtlinien“ dehnte die Jurisdiktion der Uschlas ausdrücklich auch auf die Angehörigen der SS und SA aus. Das Gesetz vom 1. 12. 1933 zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat führte eine öffentlich-rechtliche Partei- und SA-Gerichtsbarkeit ein, so dass alsbald die Uschlas in Parteigerichte umbenannt wurden, an deren Spitze das oberste Parteigericht“ (mit mehreren Kammern) stand. Im Februar 1934 wurden die neuen „Richtlinien“ für die Parteigerichtsbarkeit der NSDAP bekannt gegeben (S. 119ff.), die noch enger dem ordentlichen Strafverfahren angeglichen waren. Der Strafenkatalog wurde ausgeweitet; neben den ordentlichen Rechtsmitteln war auch eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorgesehen. Insgesamt wurde die Parteigerichtsbarkeit als eigenständiger staatlicher Gerichtszweig behandelt – seit September 1936 hatten die Parteirichter, sofern sie Juristen waren, das Recht zur Vereidigung von Zeugen und Sachverständigen. Die staatlichen Gerichte hatten den Parteigerichten Rechtshilfe zu leisten. Dagegen wurde eine eigenständige SA-Gerichtsbarkeit nicht geschaffen; sie scheiterte am Widerstand der Justiz und des Innenministeriums sowie der Reichswehr und am Veto Hitlers. Besondere Probleme warf das Verhältnis der Parteigerichtsbarkeit zum öffentlichen Dienst und zur Wehrmacht auf. 1938/39 wurde die Parteigerichtsbarkeit dazu benutzt, unter Ausschaltung der ordentlichen Strafjustiz vor allem die in Zusammenhang mit den Ausschreitungen bei der „Reichskristallnacht“ begangenen Verbrechen im Namen der Partei zu vertuschen und die Täter zu decken (S. 184ff.).
Die Parteigerichtsbarkeit stand bis Ende 1942 zumindest formaljuristisch mehr oder weniger gleichberechtigt neben der ordentlichen Gerichtsbarkeit, so dass ihre Bedeutung und Macht nicht zu unterschätzen sind. Die Position dieser Gerichte als Rechtsinstanz wurde innerhalb des nationalsozialistischen Staates stetig erweitert und gefestigt: „Die Parteigerichte versuchten weiter hartnäckig, die NSDAP von verdächtigen, rebellischen und ungehorsamen Parteimitgliedern zu säubern. Aber sie waren nicht nur mit dieser Aufgabe beschäftigt, sondern leisteten ihren Beitrag zur Festigung der Macht der Partei in den verschiedenen Lebensbereichen“ (S. 132). Nachdem 1942 das Oberste Parteigericht im Fall des Gauleiters Josef Wagner nach formaljuristischen Kriterien und nicht nach politischen Notwendigkeiten gegen den deutlichen Willen Hitlers entschieden hatte, reduzierte dieser die Macht dieses Gerichts praktisch auf null. Die neuen Richtlinien für die Parteigerichtsbarkeit vom Dezember 1942 wurden „deutlich ,entrechtlicht'“ (S. 217): „Es gab nun kaum noch genaue Regelungen über Zuständigkeit, Verfahren und mögliche Strafen, sondern lediglich Generalklauseln, deren Ausfüllung den Parteirichtern überlassen bleiben sollte“. Das OPG konnte alle Verfahren mit der Begründung einer „besonderen politischen Bedeutung“ an sich ziehen. Dies bedeutete im Endeffekt, so Block, da die Parteikanzlei alle Beschlüsse des OPG bestätigen musste, dass diese die gesamte Parteigerichtsbarkeit kontrollierte und sogar ausübte. Im September 1944 wurden alle parteigerichtlichen Verfahren bis auf wenige Beschwerdesachen ausgesetzt. – Im Verlauf der Arbeit behandelt Block beispielhaft einige Parteigerichtsverfahren, so für die Zeit bis 1933 die Fälle „Arthur Dinter“, „Julius Streicher“, „Karl Kaufmann“, „Joseph Goebbels“ und die „Stinnes-Revolte“; für die Zeit nach 1933 geht Block auf die Fälle „Erich Koch“, „Helmut Nicolai“, „Robert Ley“ und „Josef Wagner“ sowie auf einzelne Verfahren im Zusammenhang mit der „Reichkristallnacht“ näher ein. In den 13 Verfahren wegen Tötungen von 21 Juden wurde nicht ein einziger Täter aus der Partei ausgeschlossen; die Tötungen der übrigen 70 Opfer wurden weder durch das OPG noch von den ordentlichen Gerichten untersucht. Auch hinsichtlich der 13 vom OPG behandelten Fälle wurde kein einziger Täter der ordentlichen Justiz zur Aburteilung übergeben.
Die Arbeit beruht auf der Auswertung der einschlägigen Archivalien und der zeitgenössischen Literatur zur Parteigerichtsbarkeit. Leider enthält sie nur wenige Angaben über die wohl sehr lückenhafte Überlieferung und den zahlenmäßigen Umfang der Parteigerichtsbarkeit. Der Verfasser spricht (S. 223) lediglich davon, diese habe „zahllose Existenzen mit ihren Urteilen vernichtet“. Neben den vom Verfasser referierten prominenten Verfahren wären auch detailliertere Hinweise auf Routine- bzw. Durchschnittsverfahren von Interesse gewesen. Nützlich wäre es auch gewesen, wenn der Verfasser die schwer zugänglichen „Richtlinien“ für die Parteigerichtsbarkeit für die Zeit vor 1933 und vielleicht auch diejenigen von 1942 im Anhang wiedergegeben hätte. Mit der Arbeit von Block – und hierin ist der wissenschaftliche Wert der Arbeit vor allem zu sehen – steht fest, dass die Parteigerichtsbarkeit der NSDAP ein getreues Spiegelbild des nationalsozialistischen Regimes war. Dem Fazit des Verfassers ist kaum etwas hinzuzufügen, nämlich „dass die Parteigerichtsbarkeit der NSDAP zu keinem Zeitpunkt ihres Bestehens eine eigenständige Rechtsinstitution darstellte, die über eine konsequente Rechtsauffassung und einen festen Korpus von Präzedenzfällen verfügte. Vielmehr stellte sie sich als Mechanismus für die Bewältigung innerparteilicher Konflikte sowie als ein Instrument nationalsozialistischer Führungspolitik dar. Durch ihre Willkürentscheidungen leisteten die Parteigerichte einen erheblichen Beitrag im System des nationalsozialistischen Terrors“ (S. 226).
Kiel Werner Schubert