Birr, Christiane, Konflikt

und Strafgericht. Der Ausbau der Zentgerichtsbarkeit der Würzburger Fürstbischöfe zu Beginn der frühen Neuzeit (= Konflikt, Verbrechen und Sanktion in der Gesellschaft Alteuropas Fallstudien 5). Böhlau, Köln 2002. XXXVII, 394 S. Besprochen von Thomas Simon. ZRG GA 121 (2004)

Birr, Christiane, Konflikt und Strafgericht. Der Ausbau der Zentgerichtsbarkeit der Würzburger Fürstbischöfe zu Beginn der frühen Neuzeit (= Konflikt, Verbrechen und Sanktion in der Gesellschaft Alteuropas, Fallstudien 5). Böhlau, Köln 2002. XXXVII, 394 S.

 

Die in Würzburg bei Dietmar Willoweit im Zusammenhang mit dem DFG-Projekt zur „Entstehung des öffentlichen Strafrechts“ entstandene Dissertation bietet mehr, als sie im Untertitel ankündigt. Denn nicht nur um den Ausbau der Hochgerichtsbarkeit im Kontext des sich verfestigenden Territorialstaates geht es, sondern auch um die gerichtlichen und außergerichtlichen Verfahren zur rechtlichen Sanktionierung von Delinquenz, angefangen beim urtümlichen „sich vertragen“ zwischen Täter und Geschädigten bis zum modernen, ex officio in Gang gesetzten Inquisitionsverfahren. Dies macht den zentralen Teil der Arbeit aus, in dem zunächst die Verfassung der Nieder- und Hochgerichtsbarkeit, der Dorf-, Stadt- und Zentgerichte des Hochstifts (Teil 2), und sodann die verschiedenen Verfahrenswege (Teil 3) dargestellt werden. Die Einleitung unterrichtet zuvor über die Quellen, darunter nicht zuletzt auch die Weistümer; der erste Teil stellt die im Mittelpunkt der Darstellung stehenden drei Zentbezirke (die Zenten Fladungen in der Rhön, Karlstadt am Main und Ebenhausen bei Kissingen) und ihre Einbindung in das Territorium der Würzburger Bischöfe vor. Im vierten Teil schließlich bringt die Verfasserin „Beobachtungen zur Rechtsentstehung“ – dieser Teil bietet für rechtstheoretische Fragestellungen ohne Zweifel das meiste: Anhand einer Vielzahl vor allem ländlicher Quellen wird der Prozess der Rechtsentstehung im Übergang zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit auf der Grundlage von Gebot, Konsens und Gewohnheit sichtbar gemacht. Die quellennahe Studie von Christiane Birr zeigt, wie sich obrigkeitliches Gebot, genossenschaftliche Übereinkunft und Gewohnheit in der Genese der einzelnen Norm miteinander verbinden; Begriffe wie „Gebot“ und „Gewohnheit“ stellen hier – auch wenn sie sich in den zeitgenössischen Quellen durchaus finden lassen – nur idealtypische Faktoren dar, die in der Regel nur einen Aspekt der Normentstehung erfassen: Spricht man etwa von einer „Holzordnung“, wie sie im 16. Jahrhundert nahezu allerorten erlassen wird, dann bedeutet das keineswegs – was man mit dem Begriff der „Ordnung“ vielleicht assoziieren könnte -, dass man dabei in jedem Fall einem ganz auf obrigkeitlichem Gebot beruhenden Gesetz begegnet. Das von der Verfasserin behandelte Beispiel einer dörflichen „Holzordnung“ aus der Rhön zeigt vielmehr, wie solch eine „Ordnung“ zu Beginn auch durch eine mündliche Übereinkunft zwischen dem Ortsherrn und der Gemeinde, also im Kern durch eine „Einung“, statuiert werden kann (S. 275ff.) – eine Einung, die zudem noch mit dem „alten Herkommen“ begründet wird. Zunächst bleibt es bei der mündlichen Tradition der Normen, über deren genauen Gehalt allerdings in der Mitte des 16. Jahrhunderts eine „Kundschaft“ eingeholt wird, die dann wiederum aufgezeichnet und notariell beurkundet wird. Was also zu diesem Zeitpunkt als „Holzordnung“ in schriftlicher Form zutage tritt, hat mit einem obrigkeitlichen Normgebungsakt kaum etwas gemein: Es ist lediglich die Aufzeichnung zuvor mündlich tradierter Normen, die zudem in Teilen auf „altes Herkommen“ zurückgeführt werden.

 

Ob man nun unbedingt auf der wohl etwas überspitzten Unterscheidung „Weisen“, „Rechtskundschaften“, „Recht-behalten“ (S. 280ff.) beharren möchte, sei dahingestellt – das Differenzierungskriterium, dass die „Weisenden“ nicht der „Wahrheit“, sondern nur „ihrem Herrn“ (S. 282) verpflichtet gewesen seien, erscheint mir eher zweifelhaft, denn es mag sein, dass die Weistümer sehr häufig auf Initiative der Herrschaftsträger entstanden sind, dass die weisenden Gremien aber deshalb der erfragenden Herrschaft im Sinne bestimmter Aussagen verpflichtet gewesen sein sollen, kann die Verfasserin aber nicht ausreichend belegen. Vollkommen zuzustimmen ist ihr aber, wenn sie betont, dass das Bild „von der Ordnung als einer einseitig durch die Herrschaft erlassenen Satzung“ aufgeweicht würde (S. 275, Fn. 58). Diesen Aspekt mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Normgenese hätte die Verfasserin vielleicht noch vertiefen und dabei lieber den wohl etwas zu anekdotisch geratenen ersten Teil schmaler ausfallen lassen können. Dennoch: Die Arbeit vermittelt einen lebendigen Eindruck von der frühneuzeitlichen Gerichtsverfassung und den in ihrem Rahmen ablaufenden Rechtsbildungsvorgängen.

 

Frankfurt am Main                                                                                         Thomas Simon