Schillinger, Ulrike, Die Neuordnung des Prozesses am Hofgericht Rottweil

1572. Entstehungsgeschichte und Inhalt der neuen Hofgerichtsordnung (= Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im alten Reich 67). Böhlau, Wien 2016. 271 S. Besprochen von Bernd Schildt.

Schillinger, Ulrike, Die Neuordnung des Prozesses am Hofgericht Rottweil 1572. Entstehungsgeschichte und Inhalt der Neuen Hofgerichtsordnung (= Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Band 67). Böhlau Verlag, Köln–Weimar–Wien 2016, 271 S.   Mit ihrer Bayreuther juristischen Dissertation von 2014 greift die Verfasserin ein Thema auf, das erst in jüngster Zeit wieder stärker in den Fokus (rechts)historischer Forschung gerückt ist. Ältere Arbeiten haben der als Folge einer Visitation des Hofgerichts im Jahre 1571 geschaffenen (Neuen) Rottweiler Hofgerichtsordnung (NHGO) von 1572 zumeist nur am Rande Beachtung geschenkt. Ausgehend von diesem Befund geht Schillinger vorliegend der Frage nach, inwieweit diese Gerichtsordnung – insbesondere das in ihr geregelte Verfahren – durch die Reichskammergerichtsordnung (RKGO) von 1555 geprägt worden ist und in welchem Umfang deren Abfassung durch die (Alte) Hofgerichtsordnung von 1435 (AHGO) beeinflusst wurde. Ferner geht es um die Ziele und Ergebnisse der Neuordnung der Prozessordnung und die Stellung des Rottweiler Hofgerichts nach deren Reformation.   Zunächst skizziert die Verfasserin in einer Einleitung (S. 9-25) den historischen Hintergrund, den Forschungsstand, den Untersuchungszeitraum und die Fragestellung sowie Quellen und Methode ihres Vorhabens. Danach thematisiert sie unter B (Im Vorfeld der Neuen Hofgerichtsordnung, S.27-51), ausgehend von der AHGO, der RKGO sowie dem Verlauf und den Ergebnissen der Visitation des Hofgerichts im Jahre 1571 das Bemühen um eine Reformation der alten, dinggenossenschaftlich geprägten Gerichtsordnung.   Der sich anschließende Abschnitt C. Die Neue Hofgerichtsordnung von 1572 (S. 53-201) bildet den Schwerpunkt der Untersuchung. Behandelt werden zunächst I. die Rechtsnatur (diese Frage bleibt letztlich offen) und II. der Aufbau des Gerichts; dabei geht es um die „personen des hofgerichts, den gezirk (Wirkungsbereich) die jurisdiction und den gerichtszwang“ sowie um den „gerichtlichen prozeß“ (S. 55). III. wendet sich die Verfasserin Problemen der Zuständigkeit und Organisation des Gerichts zu. Gegenüber der Hochzeit in der zweiten Hälfte des 14. und dem 15. Jahrhundert(s) nahm die räumliche Zuständigkeit seit dem 16. Jahrhundert stetig ab. Der traditionelle sachliche Schwerpunkt der Tätigkeit des Hofgerichts – die freiwillige Gerichtsbarkeit – wurde durch einen Bedeutungszuwachs bei der streitigen Gerichtsbarkeit weitgehend angeglichen. Nach dem Wortlaut der NHGO war das Hofrichteramt ein Lehen – seit 1360 dauerhaft in den Händen der Grafen von Sulz. Dabei kann dahingestellt sein, ob es sich de facto wirklich um ein Lehen handelte; jedenfalls wurde es nach Reichslehenrecht behandelt (S. 62-63). Neben dem verfahrensleitenden Hofrichter, dessen Amt bereits seit dem 14. Jahrhundert durch einen Statthalter wahrgenommen werden konnte, bildeten der Bürgermeister und zwölf Ratsherren als Beisitzer die Urteilerbank. Von großer Bedeutung war das in Personalunion mit dem Stadtschreiberamt verbundene Amt des Hofgerichtsschreibers. Im funktionalen Sinn entwickelte sich daraus alsbald die Stellung eines dem übrigen Kanzleipersonal vorstehenden Kanzleiverwalters, dem aber nicht nur die Aufsicht über die Kanzleibeamten oblag. Vielmehr erlangten die Hofschreiber durch die Vielfalt ihrer Aufgaben – im Beurkundungswesen, bei der Organisation des Gerichts, durch die Vornahme prozessualer Handlungen – und die damit korrespondierende juristische Qualifikation (seit Mitte des 16. Jahrhunderts waren die Hofschreiber Doktoren oder Lizentiaten) überragende Bedeutung und wurden „zum Dreh- und Angelpunkt des gesamten Rottweiler Prozesses“ (S.71). Schließlich unterscheidet die NHGO – anders als die AHGO – institutionell deutlich die dem Gericht nahe stehenden Prokuratoren von den die Parteien beratenden und die Schriftsätze verfassenden Advokaten, wobei offenbar nicht selten Prokuratoren zugleich auch Advokaten waren.   Unter IV. Verfahren (S. 77-168) folgt eine ausführliche, systematische, bisweilen etwas detailverliebte Darstellung des Verfahrens im Vergleich mit den Regelungen der Reichskammergerichtsordnung von 1555, der die Rottweiler Gerichtsordnung insgesamt und substantiell nachempfunden ist. Insoweit handelte es sich in der Sache keineswegs um eine Reformation der alten Gerichtsordnung. Gelegentliche Bezugnahmen auf die AHGO dienten wohl eher der Legitimation der neuen Gerichtsordnung. Gleichwohl schrieb die NHGO trotz grundsätzlicher Anlehnung an den Kameralprozeß Elemente der alten, dinggenossenschaftlich verfassten Hofgerichtsordnung von 1435 fort. So wurde beispielsweise zwar das Terminsystem des Kameralprozesses eingeführt - wenngleich weniger ausführlich geregelt – aber eben auch durch gelegentliche Hinweise auf den „bisherigen stylo des Hofgerichts“ (S. 87) ergänzt. Noch deutlicher treten die Bezüge zur alten dinggenossenschaftlichen Praxis bei den Regelungen zum Urteilsvollzug – V. Exekutionsverfahren – (S. 168-186) hervor. Die enge Anknüpfung an die Exekutivordnung der alten Hofgerichtsordnung ist trotz der Implantierung romanistischer Begrifflichkeiten unübersehbar (S. 168). Anschließend wendet sich die Verfasserin VI. dem komplizierten Wechselspiel zwischen Exemtionsprivilegien und Ehehaften (S. 187-195) zu. Für das Rottweiler Hofgericht war die kaiserliche Praxis der Verleihung von Exemtionsprivilegien an eine wachsende Zahl von Herrschaftsträgern äußerst problematisch, weil damit der Wirkungsbereich des Gerichts in räumlicher Hinsicht erheblich und tendenziell wohl auch existenzbedrohend eingeschränkt wurde. Um dem entgegenzuwirken, berief sich das Hofgericht auf die sogenannten Ehehaften. Dabei handelte es sich um spezielle Tatbestände, die von den Exemtionsprivilegien unberührte sachliche Zuständigkeiten begründeten.   Den auf der Grundlage der Hofgerichtsordnung von 1572 angestrebten Verbesserungen der Gerichtsorganisation und des Verfahrens am Rottweiler Hofgericht war letzten Endes kein Erfolg beschieden, da die für die Besetzung des Assessorats mit juristisch ausgebildeten Beisitzern erforderlichen finanziellen Mittel nicht aufgebracht werden konnten. Hinzu kam die ambivalente Verhaltensweise der Kaiser, die sich zwar zumeist hinter das Gericht stellten, aber zugleich durch die fortwährende Erteilung neuer, gegen das Hofgericht gerichteter Exemtionen an eine Vielzahl von Herrschaftsträgern sukzessive dessen materielle Grundlagen entscheidend verkürzte (S. 203-222).   Abschließend wird der Handlungsspielraum des Rottweiler Hofgerichts vor dem Hintergrund des politisch-verfassungsrechtlichen Spannungsfeldes im Südwesten des Alten Reiches, insbesondere in seinem Verhältnis zu den mächtigen, benachbarten Reichsständen Österreich und Württemberg analysiert. Während Württemberg rigoros und mit Vehemenz gegen die Zuständigkeit des Hofgerichts vorging, verliefen die Konflikte mit Österreich deutlich moderater, was nicht zuletzt daran gelegen haben dürfte, dass die Kaiserkrone 1438 wieder an das Haus Habsburg gefallen war (S. 237).   Resümierend bleibt festzuhalten, dass Ulrike Schillinger eine grundlegende Arbeit zur Geschichte des Rottweiler Hofgerichts in seiner Niedergangsphase vorgelegt hat. Dazu wurde die Rottweiler Hofgerichtsordnung von 1572 nicht nur vergleichend mit der Reichskammergerichtsordnung von 1555 und der AHGO von 1435 thematisiert, sondern es wurden daneben – unter steter Berücksichtigung des zeitgenössischen Schrifttums und der aktuellen Forschungsliteratur – weitere archivalische Quellen zur Tätigkeit des Gerichts systematisch ausgewertet.  

Jatznick                                                                                                        Bernd Schildt