Historisch-kritischer Kommentar zum BGB,

hg. v. Schmoeckel, Mathias/Rückert, Joachim/Zimmermann, Reinhard, Bd. 4 Familienrecht §§ 1297-1921. Mohr (Siebeck), Tübingen 2018. XXXVIII, 1622 S. Angezeigt von Gerhard Köbler. ZIER 9 (2019) 09. IT

Von den erkennbaren Anfängen an hatten vielleicht schon die aus vielen Stämmen zusammengesetzten Germanen und nach der Völkerwanderung auch die verschiedenen Stämme der aus ihrer Aufgliederung entstehenden Deutschen anscheinend kein einheitliches, sondern ein erst nach den Völkern unterschiedenes Volksrecht und nach der Sesshaftwerdung ein nach Städten und Ländern verschiedenes Stadtrecht und Landrecht. Nach Friedrich Carl von Savigny trat teilweise an die Stelle und teilweise neben diese partikulare Verschiedenheit das seit dem Hochmittelalter in vielen Teilen Europas aufgenommene, von dem spätrömischen Kaiser Justinian zwischen 527 und 534 kompilatorisch zusammengefasste römische Recht von Kaisern und Rechtskundigen, neben welchem das von der Kirche nach römischen Vorbild geschaffene kanonische Recht erwuchs. Erst nach dem Untergang des von den Franken begründeten Heiligen römischen Reiches und nach dem Ende des danach gebildeten Deutschen Bundes gelang in dem von Bismarck geschaffenen Deutschen Reich die Vereinheitlichung des deutschen Rechtes in der Verfassung, in dem Strafrecht, in der Gerichtsverfassung, in dem Zivilprozessrecht, in dem Strafprozessrecht, in dem Sozialversicherungsrecht und in dem Jahre 1900 auch in dem bürgerlichen Recht.

 

Seit der Inkraftsetzung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in dem Deutschen Reich zu dem 1. Januar 1900, mit der die Anwendung des gemeinen römisch-kanonischen Rechtes grundsätzlich ausgeschlossen wurde, sind weit mehr als einhundert Jahre vergangen. In sehr vielen Sachbereichen sind vielfache tatsächliche und rechtliche Veränderungen eingetreten. Es war deshalb eine hervorragende Idee der Herausgeber, einen historisch-kritischen Kommentar zu dem Bürgerlichen Gesetzbuch zu schaffen.

 

Sein erster Band zu dem Allgemeinen Teil des Gesetzbuchs konnte bereits 2003 erscheinen. Dem folgten 2007 ein zweiter Band über den Allgemeinen Teil des Schuldrechts und 2013 ein dritter Band über die besonderen Schuldverhältnisse. An ihn schließt sich der vierte Band über die das Familienrecht betreffenden Vorschriften der §§ 1297 bis 1921 an.

Redigiert ist er von Mathias Schmoeckel, bearbeitet von Anja Amend-Traut, Katrin Bayerle, Arne Dirk Duncker, Stephan Dusil, Wolfgang Forster, Ralf Frassek, Hans-Georg Hermann, Elisabeth Koch, Saskia Lettmaier, Martin Löhnig, Hannes Ludyga, Matthias Maetschke, David von Mayenburg, Stephan Meder, Tilman Repgen, Andreas Roth, Stephan Chr. Saar, Steffen Schlinker, Mathias Schmoeckel, Eva Schumann und Andreas Thier, die in Würzburg, München, Hannover, Leuven, Tübingen, Halle an der Saale, Jena, Kiel, Regensburg, Saarbrücken, Bonn, Frankfurt am Main, Hannover, Hamburg, Mainz, Potsdam, Greifswald, Göttingen und Zürich wirken. Über einige der dabei entstandenen besonderen Schwierigkeiten berichtet das Vorwort. Vier Einleitungen Elisabeth Kochs, Stephan Meders und Mathias Schmoeckels betrachten das Familienrecht in dem System des Zivilrechts, die Diskriminierung der Frauen in der Geschichte des Rechtes, das Bürgerliche Gesetzbuch und die Frauenbewegung sowie die christliche Theologie und die Konzeption des Familienrechts.

 

In dem Einzelnen sind 25 Abschnitte gebildet. Sie betreffen das Verlöbnis (Saar), die eingetragene Lebenspartnerschaft und Ehe für gleichgeschlechtliche Paare (Saar), das Konkubinat und das eheähnliche Zusammenleben (Saar), die Eingehung der Ehe (Thier), die Auflösung der Ehe (Schmoeckel), die Aufhebung der Ehe (Schmoeckel), die Wirkungen der Ehe im Allgemeinen (Eva Schumann), das eheliche Güterrecht in seinem Regelungsgegenstand und in seinen Regelungsproblemen und Lösungswegen (Maetschke), das eheliche Güterrecht in den naturrechtlichen Kodifikationen (Maetschke), das eheliche Güterrecht in dem 19. Jahrhundert (Mayenburg), die Entwicklungen des Ehegüterrechts seit 1900 in Konkretisierungen, Systemverschiebungen und Europäisierung (Dusil), das Güterrechtsregister (Bayerle), die Ehescheidungsgründe (Ludyga), den Unterhalt der geschiedenen Ehegatten (Frassek), den Versorgungsausgleich (Meder/Duncker), die Verwandtschaft (Herrmann), das Unterhaltsrecht unter Verwandten (Schlinker), die nichtehelichen Kinder (Amend-Traut), das Rechtsverhältnis zwischen den Eltern und dem Kind im Allgemeinen (Koch), die elterliche Sorge (Koch), die Beistandschaft (Forster), die Adoption (Löhnig/Lettmaier), die Vormundschaft über Minderjährige (Repgen) und die Vormundschaft über Erwachsene sowie die Pflegschaft (Roth).

 

Sehr zu Recht betont der Herausgeber in dem Vorwort, dass die Vollendung eines neuen Bandes des Gesamtwerks stets ein Glücksfall ist, der sich nach langen mühevollen Jahren allen Schwierigkeiten zum Trotz noch ereignet, was nicht nur für die vorangegangenen Bände, sondern gerade auch für das vorliegende Werk gilt. Dieses Glück hat sich in vorzüglicher Weise eingestellt. Für all ihre Mühen ist dementsprechend den Beteiligten sehr zu danken.

 

Der Historisch-kritische Kommentar ist mit dem Familienrecht noch nicht abgeschlossen. Es fehlen bisher noch die Bearbeitungen des weniger stark als das Schuldrecht und das Familienrecht veränderten Erbrechts und des Sachenrechts, die in den folgenden Jahren in Angriff genommen werden. Möge diese noch zu lösende Aufgabe so gut gelingen, dass sie innerhalb der Generation der Herausgeber und der Bearbeiter zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden kann und möglichst bald allen Interessenten ein geschichtlich-kritischer Überblick über die Gesamtentwicklung des bürgerlichen Rechtes in Deutschland vor und nach Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches von 1900 zur Verfügung steht, weil das geltende Recht jeweils nur auf seiner historischen Grundlage bestmöglich verstanden und angewandt werden kann.

 

Abgerundet wird die glückliche Vollendung durch ein alphabetisch geordnetes und deswegen mit dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch Österreichs einsetzendes und mit dem Zwölftafelgesetz der Römer (von 450 v. Chr.!) schließendes Rechtsquellenverzeichnis auf den Seiten 1563-1595. Personell aufgeschlossen von Agricola über Hitler bis Zwingli wird es durch ein Personenverzeichnis. Sachlich sind schätzungsweise tausend Stichwörter von Abschichtung bis zweite Ehe verzeichnet, unter denen der Nutzer unter den angegebenen Randnummern und Fußnoten in vielfältiger Weise die Sachkenntnis der Bearbeiter leicht und ertragreich verwerten kann.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler