Steinkröger, Julian, Strafrecht und Strafrechtspflege in den deutschen Kolonien von 1884 bis 1914.

Ein Rechtsvergleich innerhalb der Besitzungen des Kaiserreichs in Übersee (= Rechtsgeschichtliche Studien 85). Kovač, Hamburg 2019. 461 S. Angezeigt von Gerhard Köbler. ZIER 9 (2019) 77. IT

Trotz seiner Ausdehnung fiel in der Neuzeit das Heilige römische Reich deutscher Nation in der Weltgeschichte hinter den seefahrenden Nationen deutlich zurück. Diese sahen die neu entdeckte Welt als willkommene Beute an, während sich die Deutschen um die richtige Beziehung zu dem christlichen Gott zerfleischten. Dementsprechend erlangten Spanien, Portugal, Frankreich, Großbritannien und die Niederlande umfangreiche Kolonien in dem Westen und Süden der Welt, die ihnen in erster Linie Land und Bodenschätze sicherten, die zuhause eher knapp waren.

 

Mit der seit der Schaffung eines modernen Staates unter Otto von Bismarck gelungenen Modernisierung eines Deutschen Reiches ohne Österreich, Liechtenstein und Luxemburg verstanden sich die Deutschen als zu spätgekommener Wettbewerber, der unter den verbliebenen Resten der Welt sich nur noch aneignen konnte, was die anderen Kolonialmächte noch nicht in Besitz genommen hatten, wobei die Deutschen aber gleichzeitig mit den gleichen Fragen konfrontiert wurden, mit denen sich die anderen Kolonialmächte schon länger hatten auseinandersetzen setzen müssen und im Gegensatz zu den Deutschen auch über das Ende des ersten Weltkriegs auseinandersetzen mussten. Mit einem Teilaspekt dieser Probleme beschäftigt sich die vorliegende durch Wolfgang Schild betreute und in dem Sommersemester 2018 von der Fakultät für Rechtswissenschaft in Bielefeld angenommene Dissertation des Verfassers, die sich insgesamt in sieben Sachkapitel gliedert. Sie betreffen den seit dem 7. August 1884 erfolgten Erwerb der Schutzgebiete in Deutsch-Südwestafrika, Togo, Kamerun, Deutsch-Ostafrika, Deutsche-Südsee und Kiautschou, deren Fläche das Gebiet des Deutschen Reiches insgesamt um das Fünffache übertraf, die Kolonialzentralverwaltung in dem Deutschen Reich in der Kolonialabteilung in dem Auswärtigen Amt und in dem Reichskolonialamt, die gesetzlichen Grundlagen des Kolonialstrafrechts, das Kolonialstrafrecht und die Kolonialstrafrechtspflege, das koloniale Militärstrafrecht, das spezifische Kolonialstrafrecht in den sechs einzelnen Schutzgebieten und als Exkurs das Kolonialstrafrecht Großbritanniens.

 

Insgesamt spricht der Verfasser alle mit seiner Aufgabenstellung verbundenen Fragen auf der Grundlage der vorhandenen Literatur sachkundig und detailliert an. Dabei weist er insbesondere auf die praktisch notwendigen Abweichungen von der Rechtspflege in dem Mutterland besonders hin. Zwar wurde in dem Ergebnis das Reichsstrafgesetz entsprechend angewendet, aber letztlich nur als Richtschnur und unter Berücksichtigung der einheimischen Sitten und Gebräuche, sofern sie bekannt waren, so dass neben dem Recht auch die Willkür tatsächlich in beachtlichem Ausmaß Platz fand, weil andernfalls Machtbefugnisse der Kolonialverwaltung aufgegeben hätten werden müssen, so dass aus nachträglicher rechtsstaatlicher Sicht ein Verzicht auf die Kolonien wohl die bessere Alternative zu der politischen Wirklichkeit der behandelten rund 30 Jahre gewesen wäre.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler