Koß, Michael, Parliaments in Time.
Die Entwicklung des Menschen von ersten aus den Primaten hervorgegangenen Individuen zu Milliarden gleichzeitigen Erdbewohnern hat auch die Entstehung von Herrschaftsformen einiger Menschen über viele Mitmenschen bewirkt, deren Anfänge in den Einzelheiten nicht sicher bekannt sind. Sobald der Mensch schreiben kann, berichtet er aber darüber in vielfältigen Formen. Dabei erscheinen bereits bei den Griechen die Demokratie und bei den Römern die Republik als alternative, wenn auch zunächst nicht dauerhafte Versuche der Gestaltung von Herrschaft neben anderen.
Das vorliegende Werk des in Politikwissenschaft, Geschichte und Rechtswissenschaft in Göttingen, Besançon und Uppsala ausgebildeten, 2008 von Peter Lösche in Göttingen und André Kaiser in Köln mit einer Dissertation über Parteienfinanzierung und politischen Wettbewerb promovierten, seit April 2013 an dem Geschwister Scholl Institut für Politikwissenschaft der Universität München wirkenden, als Postdoktorand in zwei von dem britischen Economic and Social Research Council finanzierten Drittmittelprojekten über die deutsche Linkspartei und die politische Regulierung der Privatsphäre in Sussex, Oxford und Göttingen tätigen, 2018 habilitierten Verfassers unter dem verheißungsvollen Leitsatz alles was ich immer wollte war alles betrifft demgegenüber die jüngere Vergangenheit. Es entstand nach dem Vorwort aus seiner vorangehenden Dissertation und wurde vor allem durch die Volkswagenstiftung gefördert, deren Mittel die Sammlung und Durchsuchung von mehr als 14000 Seiten parlamentarischer Dokumente vierer Gesetzgebungsorgane des Untersuchungszeitraums ermöglichten. Gegliedert ist es nach einer Einleitung über die Grundlagen in sechs Kapitel. Sie betreffen the Analysis of Talking and Working Legislatures, a Dynamic Partisan Perspective on Procedural Reform, Procedural Reforms and their Context in Großbritannien, Frankreich, Schweden und Deutschland, (Non-)Departures from the Legislative State of Nature 1866-1917, Pathways to Path-Dependence 1918-1990 und Adaptations 1991-2015.
In diesem Rahmen untersucht der Verfasser insgesamt 90 in Geschäftsordnungen enthaltene Reformen des Verhältnisses zwischen Plenum und Ausschüssen des Untersuchungsraums und der Untersuchungszeit. Dabei ermittelt er die Idealtypen von talking legislature (Redeparlamenten) mit starken Regierungen und working legslature (Arbeitsparlamenten) mit mächtigen Ausschüssen. In ihrem Rahmen erschließt er einen Kausalzusammenhang zwischen Verfahrensreformen und moderner Demokratie, der sie vermutlich bestmöglich gegen ihre Feinde sichern kann.
Innsbruck Gerhard Köbler