Bündner Urkundenbuch. Band 3,

*Bündner Urkundenbuch. Band 3, hg. v. Staatsarchiv Graubünden, bearb. v. Clavadetscher, Otto P./Deplazes, Lothar. Thorbecke, Sigmaringen 1997. Besprochen von Louis Carlen. ZRG GA 118 (2001)

CarlenBündner20000217 Nr. 1235 ZRG 118 (2001)

 

 

Bündner Urkundenbuch. Band 3 hg. v. Staatsarchiv Graubünden, bearb. v. Clavadetscher, Otto P./Deplazes, Lothar. Thorbecke, Sigmaringen 1997. XXVI, 607 S.

Nachdem 1955 der erste Band (390-1199) und 1973 der zweite (1200-1273) des Bünd­ner Urkundenbuchs abgeschlossen war, hatte der dritte Band ver­schie­dene Schwierigkeiten zu überwinden, die mit diesem Band glücklich gelöst wurden. Der Band reicht von 1273 bis 1303 und umfasst in einer mustergültigen Edition 543 Nummern, eine Konkordanztabelle, ein Namen­register und gute lateinische und deutsche Wort- und Sachregister. Von der immensen Mühe der Bearbeiter zeugt, dass sie Quellen aus 106 Archiven aus Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich und der Schweiz beizogen.

Für den Rechtshistoriker ist der Band eine Fundgrube in verschiedener Hinsicht. Zahlreiche Kauf-, Tausch- und Schenkungsverträge vermitteln ein gutes Bild des Rechtsverkehrs. Neben Immobiliarkäufen (Wiesen, Häuser, Weinberge, Alpen, Mühlen, Kirchen), Abtretung von Rechten, Einkünften und Zehnten erscheinen auch kirchliche Personalkäufe, wenn eine Kirche 1280 und das Hochstift Chur 1280 eine Eigenfrau kaufen und das Zisterzien­serinnen­kloster Heiligenkreuztal 1297 einen Eigenmann verkauft (Nrn. 1286, 1302, 1621). Eigenleute werden getauscht (Nr. 1241, 1243), das Kloster Disen­tis gibt 1300 eine Frau mit ihren Kindern dem Kloster Wettingen zu Lehen (Nr. 1692).

Die Schenkungen erfolgen meist pro remedio animi an kirchliche Insti­tutionen, wobei es sich um Rechte oder Liegenschaften (z.B. ein Haus, Nr. 1390) handelt. In dieser Richtung gehen erbrechtliche Verfügungen. Weniger ergiebig ist das Bürgschaftsrecht, etwas mehr das Pfandrecht. Verschiedene Quittungen werden ausgestellt, Guthaben abgetreten (Nr. 1209). Zweimal wird die Morgengabe erwähnt (Nrn. 1229, 1261).

Umfangreicher ist das Abgabewesen. Verschiedene Zinsen und Zehnten werden berührt. Es treten zum Beispiel Weinzehnten (1282), Lämmerzehnten (Nrn. 1230, 1604), Wachszinsen (Nr. 1516) auf. Damit verbunden ist das Lehenswesen in seiner verschiedenen Ausgestaltung.

Der strafrechtliche Gehalt ist weniger hoch. Vor allem aber ist hier ein, vielleicht mit späteren Zusätzen versehener, Erlass des Reichsvogts von Chur von 1297 zu erwähnen (Nr. 1632), der neben Gerichtsstands­be­stimmungen wegen großer Rechtsunsicherheit verschiedene Strafbestim­mun­gen enthält, auf Körperverletzung, Ehrverletzung, Schmähung der Heiligen und unterlassene Hilfeleistung vor allem Bußen setzt und für Mörder das Rad, für Straßenraub das Schwert und für Ketzerei den Feuertod androht. Je nach der Höhe des Diebstahls wird Buße, Ohrabschneiden und Galgen vorgesehen. 1301 ist die Rede von Lämmerraub (Nr. 1715). Zahlreiche Urkunden enthalten die üblichen Strafdrohungen bei Nichterfüllen von Verträgen und gerichtlichen Entscheiden. Dazu gehört auch die Exkommunikationsdrohung im kirchlichen Bereich, wobei aber auch Belege erscheinen für Befreiung von Exkommunikation und Interdikt (z.B. Nr. 1770). König Rudolf erklärt 1274 einen exkommunizierten Landgrafen in die Acht (Nr. 1216).

Das prozessrechtliche Material hält sich in seinem Aussagewert in Grenzen, vor allem geht es um kirchliche Gerichtsbarkeit. Auch Quellen zum Schiedsgericht sind im Verhältnis zur Westschweiz und Savoyen in dieser Epoche eher spärlicher (Nrn. 1299, 1359, 1467, 1572, 1657, 1660, 1671), wie ein Vergleich mit den 1955 von Emil Usteri publizierten „Westschweizer Urkunden bis zum Jahre 1300“ und den 1961 von Hans Waser heraus­gegebenen „Quellen zur Schiedsgerichtsbarkeit im Grafenhause Savoyen 1251-1300“ zeigt. Zwei Urkunden sind Grenzbereinigungen gewidmet (Nrn. 1614, 1719).

Peter Liver hat dargelegt, dass die Rechtsverhältnisse der im Mittelalter in Graubünden eingewanderten Walliser im wesentlichen mittelalterlichem Kolonistenrecht entsprachen (Mittelalterliches Kolonistenrecht und freie Walser in Graubünden, Zürich 1943). Das vorliegende Urkundenbuch bringt dazu die Hauptquellen (Nrn. 1245, 1396, 1701).

Im Zusammenhang mit Studenten wird Bologna erwähnt, so wenn Bologneser Studenten aus dem Bistum Chur kanonistische Bücher erwerben (Nr. 1212 f.) oder als Schuldner auftreten (Nrn. 1535, 1575, 1619, 1633, 1767).

Der Bereich der kirchlichen Rechtsgeschichte ist umfangreich. Stich­wörter wie Patronat, Inkorporation, Weihevollmacht, Klosterprivilegien, Jahr­zeitstiftungen zeigen das. Der Bischof von Chur übergibt 1286 einer Frauengemeinschaft die Augustinerregel (Nr. 1391), 1273 stellt er Statuten für das Domkapitel auf (Nr. 1207). Auch eine Dispens vom Ehehindernis der Blutsverwandtschaft erscheint (Nr. 1596). Ich zähle 71 Verleihungen von Ablässen. Drei Benediktinerklöster vereinbaren sich 1300 über die Abtwahl (Nr. 1705).

Dem Band sind Abbildungen und Beschreibungen von 53 Siegeln beigegeben, was eine Bereicherung der Siegelkunde ist. Rechtsar­chäo­logisch interessant ist bei den Bischofssiegeln die Form des Bischofsstabes (Nrn. 12, 15, 29), eines Abtstabes (Nr. 49), eines Probststabes (Nr. 32) und des Stabes eines Konventvorstehers (Nr. 52). Hinzu kommen die Signete von sieben in Graubünden wohnhaft gewesenen Notaren.

Die Leistung der Bearbeiter dieses Bandes verdient volle Anerkennung, und es ist zu hoffen, dass bald ein vierter Band folgen wird.

Brig                                                                                                               Louis Carlen