Burgen im Spiegel der historischen Überlieferung,
JostBurgen20000803 Nr. 1098 ZRG 118 (2001)
Burgen im Spiegel der historischen Überlieferung, hg. v. Ehmer, Hermann (= Oberrheinische Studien 13). Thorbecke, Sigmaringen 1998. 209 S.
Hermann Ehmer hat es unternommen, den Resultatband der Tagung „Burgen im Spiegel der historischen Überlieferung“ der Arbeitsgemeinschaft für geschichtliche Landeskunde am Oberrhein aus dem Jahr 1993 herauszugeben und mit einem hilfreichen Register zu versehen, wobei bis auf die Beiträge von Bernhard Metz zu Burgen des Elsaß und Werner Meyer zum Quellenwert von Burgendarstellungen, die lediglich in Kurzzusammenfassungen vorliegen, sämtliche Aufsätze in erfreulicher Länge und Ausführlichkeit gedruckt werden konnten.
Alfons Zettler bespricht im einleitenden Beitrag Burgenbau und Zähringerherrschaft und zieht damit beschränkt auf den Breisgau eine Bilanz über die im Rahmen der Zähringerausstellung geleisteten Forschungsarbeiten zum Thema.[1] Als langjähriger Kenner der Burgen im Herrschaftsgebiet der Zähringer zieht Zettler die Schriftquellen seit dem Investiturstreit heran, um die älteste Schicht der im Breisgau erwähnten Burgen ebenso zu erfassen wie die sich daran anschließende Entwicklung. Dabei ist sich Zettler wohl bewußt, daß die Ersterwähnung von Burgen nichts über deren Entstehung aussagt. Wichtig ist dabei die Feststellung, daß die Namen der Burgen bei der Herauskristallisierung der Adelsfamilien aus den größeren Sippen eine wichtige Rolle spielten, die Nennung nach einer Burg erscheint fast konstitutiv für die früh faßbaren Adelsfamilien. Dabei kommen bereits vor der Mitte des 12. Jahrhunderts wiederholt Burgen in der Hand von Adeligen unterhalb des Grafenstandes vor. Einige der frühen Burgen sind zudem mit der Zähringerherrschaft eng verbunden, so das von Berthold II. zerstörte Wiesneck. Leider bleibt die Studie Zettlers ganz auf den historischen Bereich beschränkt, bietet in einem Anhang eine minuziöse Auflistung der Quellenbelege zu den ermittelten 20 Burgen, verzichtet aber völlig auf die Einbeziehung des Baubestandes oder der archäologisch belegten Überreste.
Dietrich Lutz beschäftigt sich mit Burgen im Spiegel der archäologischen Befunde, wobei er den ihm wohl vertrauten Regierungsbezirk Karlsruhe (rechtsrheinisches Oberrheingebiet) auswählt. Nach einem Überblick über die Burgenforschung des Gebietes, die 1857 mit Karl Wilhelmi zur Burg Steinsberg einsetzte,[2] gibt Lutz einen Überblick über 16 ausgewählte Burggrabungen vom allseits bekannten (Karlsruhe‑)Durlacher Turmberg über die Ruine Mandelberg im Landkreis Freudenstadt (Bergfried aus der Zeit um 1250, Palas, Zisterne, Ringmauer) bis hin zu den regelmäßigen Burganlagen von Bruchsal und Eschelborn, die beide dem späten Mittelalter angehören. Gute Zeichnungen mit Angaben der Bauzeiten sowie relativ knapp bemessene, aber den Forschungsstand sehr gut darstellende Literaturangaben runden den Beitrag des Bauforschers und Archäologen ab.
Christofer Herrmann und Hermann Ehmert beschäftigen sich mit der Aussagekraft von spätmittelalterlichen Burgeninventaren, die vor allem ein plastisches Bild vom Alltagsleben auf den Burgen seit dem 14. Jahrhundert überliefern, aber auch durch die Nennung von Bauteilen Rückschlüsse auf die Struktur der Anlagen erlauben. Hermann berücksichtigt neben bereits gedruckten Inventaren, von denen besonders die Sammlung von Zingerle zu Tirol und Vorarlberg (1909) hervorgehoben werden soll,[3] auch ungedrucktes Material für seinen Überblick, während Ehmert die Schadensinventare von Schweinberg (1437) und Barstenstein (1443) genau analysiert und beide bereits bekannten Texte im Anhang dankenswerter Weise ediert. Besonders in diesen wird die Burg als Wehranlage deutlich, genaue Auskünfte über die in den Anlagen gelagerten Waffen sind enthalten. Daneben ist das Anwachsen des Inventars im 15. Jahrhundert deutlich zu erkennen, neben dem sich wandelnden Anspruch an den Wohnkomfort wohl der Grund für zahlreiche bauliche Veränderungen und Neubauten auf den hochmittelalterlichen Burgen am Ausgang des Mittelalters.
Markus Mersiowsky beschäftigt sich mit spätmittelalterlichen Rechnungen als Quellen zur Burgengeschichte, die einen umfangreichen und ausführlichen Überblick über die überkommenden Rechnungen, ihre Editionen und archivalische Überlieferung bietet. Das Kapitel zu Baurechnungen, das auf recht schmaler Quellenbasis basiert, dürfte für den burgenforschenden Architekturhistoriker das wichtigste sein, sind doch hierzu bislang sehr wenige Details bekannt.[4]
Die Überlegungen von Wolfgang Seidenspinner über sagenhafte Burgenwelten eröffnen den Blick auf den häufig vernachlässigten und von großen Quellenproblemen behafteten Komplex der (Volks‑)Sagen, die zumeist aus dem Geist „des Knaben Wunderhorn“ gesammelt und (literarisch) bearbeitet worden sind. Damit sind sie mehr oder weniger Kunstprodukte der Romantik, die aus unterschiedlichen Quellen kompiliert worden sind. So sind die großen quellenkritischen Probleme der Textgattung und damit ihr zweifelhafter Quellenwert deutlich hervorgehoben, aber auch Wege der Einbeziehung dieser Texte in die Erforschung von Burganlagen gewiesen, zu denen die historische Überlieferung nur geringe Aussagen erlauben.
Karl Heinz Spieß analysiert im letzten Beitrag des Bandes die Burgfrieden als Quelle für die politische und soziale Lage des spätmittelalterlichen Adels. Hier werden zur Grenzbestimmung des Burgfrieden zahlreiche Wirtschaftsbauten erwähnt, die Rückschlüsse auf die Burg als Wirtschaftsfaktor erlauben, daneben wird die Burg als Verteidigungsanlage und als Lebensort des Adels deutlich, der besonders für Ganerbenburgen interessante Einblicke in die dem Bauhistoriker oft verschlossenen Strukturen zeigt und diese Burgenform deutlich als „Zwangsgemeinschaft“ erkennen läßt.
Zusammenfassend ist festzuhalten, daß der auf Südwestdeutschland beschränkte Sammelband das erste Mal seit den von Hans Patze 1976 herausgegebenen Bänden zu den Burgen im deutschen Sprachraum den Versuch unternimmt,[5] von historischer Seite Bilanz zu ziehen, den momentanen Forschungsstand festzuhalten und durch neue Erkenntnisse zu bereichern. Beides ist unter Verzicht auf die Baulichkeiten der behandelten Burgen gelungen. In der Natur der Überlieferung liegt es, daß vor allem spätmittelalterliche Phänomene behandelt werden, während das Hochmittelalter nahezu vollständig ausgeklammert bleibt ‑ abgesehen von der breit gefächerten Untersuchung von Lutz sowie dem Beitrag von Zettler. Hier wird das Fehlen eines umfassenden Beitrages von Bernhard Metz zum Elsaß besonders deutlich.[6] Für diese in der Burgenforschung bislang sehr stiefmütterlich behandelte Zeit des späten Mittelalters sind grundlegende Untersuchungen über den Quellenwert von Inventaren, Sagen und Burgfrieden für die Geschichte des Adels und der Bauten vorzufinden, die natürlich die Bauten außer acht lassen. Der am Phänomen Burgen interessierte Historiker würde eine ähnlich gelagerte Untersuchung auch für andere Teile des ehemaligen Deutschen Reiches begrüßen. Der Burgenforscher und Kunsthistoriker wünscht sich im Anschluß eine ähnlich niveauvolle Untersuchung zur überkommenden Bausubstanz.[7] Für diese bietet der vorliegende Band eine sehr gute Grundlage und sei zur intensiven Lektüre empfohlen. Dabei sollte das in den besprochenen Burgeninventaren zu erkennende Anwachsen des Hausrats im 15. Jahrhundert verstärkt mitberücksichtigt werden, denn in ihm mag zusammen mit einer Steigerung des Bedürfnisses an Wohnkomfort die Errichtung zahlreicher Bauten in hochmittelalterlichen Anlagen begründet liegen.
Köln Bettina Jost
[1] Karl Schmidt (Hrg.): Die Zähringer. (=Veröffentlichungen zur Zähringer‑Ausstellung Bd. I‑III) Sigmaringen, Bd. 1, 1991, Bd. 2, 1986, Bd. 3, 1990. In Band 3 hat Alphons Zettler seine Ergebnisse weitaus umfangreicher als im hier in Rede stehenden Band darlegen können: Zähringerburgen Versuch einer landesgeschichtlichen und burgenkundlichen Beschreibung der wichtigsten Monumente in Deutschland und in der Schweiz, S. 95‑177.
[2] Karl Wilhelmi, Beschreibung und Geschichte der Burgruine Steinsberg bei Weiler unfern der Amtsstadt Sinsheim, Heidelberg 1857. Neben einer ausführlichen Geschichte der Burg und eine Beschreibung des baulichen Zustandes ist vor allem der genaue Schnitt durch den Bergfried bemerkenswert, der ein erstaunlich frühes Zeugnis der Bergfriedforschung darstellt.
[3] Otto von Zingerle: Mittelalterliche Inventare aus Tirol und Vorarlberg, Innsbruck 1909.
[4] Einen Überblick bietet: Günter Binding, Baubetrieb im Mittelalter, Darmstadt 1993. - Zwar beschäftig sich einer der frühesten im Original erhaltenen Baumeisterverträge mit dem Bau einer Burg (Victor Mortet/Paul Deschamps, Recueil de Textes relatifs à l’histoire de l’Architecture et à la condition des Architects en France, au moyen âge. XIIe-XIII siècles, Paris 1929, Nr. 114, S. 233-235; Binding 1993, S. 154), doch sind für den deutschen Raum vor allem Quellen zum Sakralbau überliefert. Anders sieht es für Unteritalien und England aus. Vgl. dazu Binding 1993, S. 75-86 mit weiteren Nachweisen.
[5] Hans Patze (Hg.): Die Burgen im deutschen Sprachraum. Ihre rechts‑ und verfassungsgeschichtliche Bedeutung, 2 Bände. Sigmaringen 1976 (= Vorträge und Forschungen 19).
[6] Hier mag allerdings ein Blick in die von Thomas Biller und Bernhard Metz bearbeiteten Bände: Die Burgen des Elsaß, München 1995ff. weiterhelfen, von denen bislang leider nur Band 3, der die Zeit von 1250 bis 1300 umfaßt, erschienen ist.
[7] Stellvertretend für einige begrüßenswerte Ansätze sei auf folgende Arbeiten hingewiesen, die das auch von historischer Seite gut aufgearbeitete Mittelrheingebiet erforschen: Reiner Kunze, Spätblüte - Reichenberg und der mittelrheinische Burgenbau des 14. Jahrhunderts, Braubach 1998 (= Veröffentlichungen der Deutschen Burgenvereinigung Reihe A, Nr. 6) sowie die Dissertation von Christofer Herrmann, Wohntürme des späten Mittelalters auf Burgen im Rhein‑Mosel‑Gebiet. Braubach 1995 (= Veröffentlichungen der Deutschen Burgenvereinigung Reihe A, Nr. 2).