Die Revolutionen von 1848 in der europäischen Geschichte
LaufsDierevolutionen20000825 Nr. 10110 ZRG 118 (2001)
Die Revolutionen von 1848 in der europäischen Geschichte. Ergebnisse und Nachwirkungen. Beiträge des Symposions in der Paulskirche vom 21. bis 23. Juni 1998, hg. v. Langewiesche, Dieter (= Historische Zeitschrift Beiheft N. F. 29). Oldenbourg, München 2000. VI, 178 S., 15 Abb.
Das Einhundertfünfzigjahre-Jubiläum des stürmischen Aufbruchs zur Freiheit ließ eine ganze Reihe wertvoller Bücher entstehen, zu denen auch der vorliegende Band gehört. Er steht im Zusammenhang mit der zentralen bundesdeutschen Ausstellung in Frankfurt (, von welcher der von Lothar Gall herausgegebene Katalog bereits in zweiter Auflage erschien). Die Exposition wie der Sammelband verfolgen eine doppelte Perspektive: den europäischen Vergleich einerseits und die Rezeptionsgeschichte andererseits.
Dieter Langewiesche konstatiert die Unterschiedlichkeit der revolutionären Erwartungen wie der zeitgenössischen Urteile über das Scheitern und dessen Wirkungen. In der Überschrift seines Beitrags setzt er das Wort Scheitern mit gutem Grund in Anführungszeichen. Er nimmt die verschiedenen Revolutionsherde europaweit in den Blick und stößt auf das „Janusgesicht des Nationalismus“, das die Revolution nicht schuf, indessen verbreitete. „Die Nationalrevolutionen versprachen 1848, Staat und Gesellschaft zu demokratisieren, doch diese Fortschrittsverheißung ging einher mit verstärkten Feindbildern und mit der Bereitschaft zum Krieg“ ‑ eine verhängnisvolle Erbschaft. Der Traum vom europäischen „Völkerfrühling“ reifte nicht; die Zukunft gehörte vielmehr für lange Zeit dem Europa der Nationalstaaten und ihren Konflikten.
Heinz‑Gerhard Haupt markiert das Jahr l848 als Wendepunkt auf dem „französischen Weg in die Moderne“. Er versteht die Revolution „nicht als Bruch, sondern als Faktor von Entwicklungsprozessen“: die Republikanisierung, die Einübung des allgemeinen Männerwahlrechts, der Ausbau genossenschaftlicher Ansätze, der Gegensatz von Laizität und katholischer Kirche ‑ diese vorhandenen Faktoren wirkten über das Jahr 1848 hinaus fort. Peter Stadlers Beitrag zur Schweiz handelt „von einer geglückten Revolution, ja der wohl einzig geglückten jenes Jahres“: „Die alte Schweiz von 1847 war im neuen Bundesstaat nicht wieder zu erkennen; die neue hatte sich nach außen behauptet und wurde von den Mächten denn auch stillschweigend hingenommen ‑ teilweise mit Reserven“.
Der Verfassungsjurist Jörg‑Detlef Kühne zieht eine für die Entwicklung der Rechtskultur „wegen der eingeleiteten Völkerrechtserosion“ nicht eindeutig positive Bilanz. „Die Konzentration auf Gesellschaft und Staat geht mit einer Vernachlässigung des Völkerrechts einher ‑ zu Lasten der Gesamtforschung Europas. ‑ Positiv herauszustellen ist jedoch die normative Erfassung der Gesellschaft, die 1789 zwischen dem einzelnen und der staatlichen Gemeinwillensbildung rousseauistisch übersprungen worden war“. Christof Dipper besichtigt Italien aus deutscher Perspektive, wobei er sechs bezeichnende Unterschiede herausstellt. Auch die Einigung erlebte Italien vollkommen anders. „Italien ‑ das war bei der Gründung, aber noch auf Jahrzehnte hinaus ein Nationalstaat ohne Nation, Deutschland dagegen eine Nation auf der Suche nach ihrem Staat“.
Einen reich bebilderten, kunstgeschichtlichen Aufsatz trägt Thomas W. Gaehtgens bei: Die Revolution von 1848 in der europäischen Kunst. Die populäre Druckgraphik mit ihrem vielfach einheitlichen ikonographischen Schema bezeugt, massenhaft verbreitet, die durchgesetzte Pressefreiheit. Dagegen schlug sich die Revolution kaum in der Malerei nieder, wohl auch deshalb, weil der Markt fehlte. Zu den interessantesten Beiträgen gehört der von Wolfram Siemann: Der Streit der Erben ‑ deutsche Revolutionserinnerungen. Der Autor erörtert das Frankfurter Einheitsdenkmal aus der Zeit um die Jahrhundertwende; Gedächtnisorte und steingewordene Erinnerungen zu 1848/49; Mythen und Ursprungslegenden: 1849 ‑ 1945; die gespaltene Erinnerung im Kampf der Systeme seit 1948; neue Erinnerungsperspektiven im Zeichen der Aufwertung der Region und Europas. Siemann bewertet zu Recht die Folgen des Revolutionsjubiläums 1998 positiv: „Nach 1998 wissen wir erheblich mehr über die Revolution als ein Jahr zuvor, und der ‚Streit der Erben’ um 1848 scheint beigelegt“. Das letzte Stück des Bandes aus der Feder von Gabor Erdödy gilt dem Revolutionserbe und der nationalen Selbstbehauptung in Ungarn. Der Verfasser kommt dabei am Ende zu einem ähnlichen Urteil wie Siemann für das Gedächtnis im Jahr 1998: „Das Erbe der Ereignisse von 1848 kann das erste Mal in seiner Totalität und Komplexität ohne vorgeschriebene und unantastbare Deutungen gefeiert werden“.
Auch wenn der Band nach seinem Stoff nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben könnte, so bildet er doch auf anregende und weiterführende Art repräsentative Ansichten und bezeichnende Analysen zu einem fast unerschöpflichen Themenkreis. Das Buch verdient es, von Forschern und Lehrern zu Rate gezogen zu werden.
Heidelberg Adolf Laufs