Mertens, Bernd, Gönner, Feuerbach, Savigny

– Über Deutungshoheit und Legendenbildung in der Rechtsgeschichte. Mohr Siebeck, Tübingen 2018. XI, 173 S. Angezeigt von Gerhard Köbler. ZIER 9 (2019) 52. IT

Als soziales und bewusstes Wesen bildet der Mensch wohl seit seiner Entstehung auf Grund von Erfahrungen Vorstellungen über die ihn umgebenden Mitmenschen. Davon bewirken enttäuschende Erfahrungen meist negative Eindrücke, beglückende Erfahrungen dagegen positive Eindrücke. Auf dieser Grundlage kann in der Vielheit verschiedener Begegnungen ein gedankliches Gesamtbild eines Menschen bei seinen Mitmenschen entstehen, das überzeugend oder fraglich sein kann und seit der Erfindung der Schrift und anderer Aufzeichnungsmittel überörtlich und überzeitlich festgehalten und verfestigt werden kann.

 

Nach dem kurzen Vorwort des in Duisburg 1967 geborenen, in Rechtswissenschaft, Philosophie und Geschichte in Tübingen und Genf ausgebildeten, in Tübingen 1995 mit einer Dissertation über Reichstagsverhandlungen und Monopolprozesse in dem frühen 16. Jahrhundert promovierten, 2003 mit einer Schrift über Gesetzgebungskunst in dem Zeitalter der Kodifikationen habilitierten und 2004 nach Erlangen berufenen Verfassers kommen Juristen nur selten in den Himmel, zumal sie ja nach einer schon in dem Spätmittelalter verbreiteten Redewendung böse Christen sind und der Streit um den Vorrang dieses oder jenes Interesses den Kern ihres beruflichen Daseins und Vermögens bildet. Ziel des Verfassers ist es, nach Möglichkeit das Verständnis des Lesers über die Gründe zu verbessern, warum es einige wenige Juristen dennoch in den Himmel schaffen und andere nicht. Nach dem Untertitel können hierfür eigentlich hauptsächlich nur die Deutungshoheit von Meinungsmachern und Meinungsführern und die Ungerechtigkeit der menschlichen Urteilsbildung ursächlich sein.

 

Der Verfasser gliedert seine interessanten und weiterführenden Ausführungen nach einer kurzen Einleitung in fünf Abschnitte über Nikolaus Thaddäus Gönners Vorgeschichte von Bamberg über Ingolstadt nach Landshut, Feuerbach als Kollegen Gönners in Landshut zwischen 1804 und 1805 sowie Savigny als Kollegen Gönners in Landshut zwischen 1808 und 1810, Gönner, Feuerbach und die Kodifikationsbemühungen in Bayern in dem frühen 19. Jahrhundert (Zivilgesetzbuch, Strafgesetzbuch mit amtlichen Anmerkungen, Novellen zu dem Strafgesetzbuch und Entwürfe zu einer Revision, Zivilprozessordnung, Hypothekengesetz), die Kontroverse um die Kodifikationsfrage sowie Gönner, Savigny und die Neuausrichtung der Universität München. Nach den überzeugenden Ergebnissen des Verfassers gelangt in den juristischen Olymp am ehesten, wer zu seinen Lebzeiten eine umfangreiche und treu ergebene Schülerschar um sich sammelt und deren Fortkommen durch geschickte Einflussnahme auf Berufungsentscheidungen zu fördern versteht, wer nicht nur durch die eigenen Publikationen und Publikationen der Schüler, sondern auch durch eine umfangreiche briefliche Korrespondenz gezielt Einfluss nimmt und seine Einschätzungen der Nachwelt mitteilt, so dass wer nur Feind oder Freund kennt, eine offene Auseinandersetzung mit den Argumenten seiner Kritiker tunlichst vermeidet und stattdessen diese totschweigt oder notfalls deren Gesinnungen bekämpft, wie Savigny in Gegensatz zu Gönner beste Chancen hat. Nach dem Tode kommt es zusätzlich darauf, wer die Deutungshoheit über Leben und Werk der Verstorbenen an sich zieht und beispielsweise Feuerbach als genial einordnet und Gönner als verschlagen und intrigant – der Mensch ist eben, wie er ist, die süße Unwahrheit zieht er in der Regel der bitteren Wahrheit vor und das jüngste Gericht mit der Ermittlung der wirklichen Wahrheit überlässt er gern anderen – mundus vult decipi, ergo decipiamus ist geschichtlich schließlich eine der erfolgreichsten menschlichen Einsichten, weshalb Gönner nachträglich wohl kaum mehr Gerechtigkeit erlangen und in den rechtsgeschichtlichen Himmel gelangen wird.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler