Aßmann, Jaron, Zwischen Weltanschauung und Wissenschaft.
Mit dem politisch und rassisch radikal vollzogenen Personalrevirement an den Universitäten nach 1933 war auch ein schneller Wechsel der Generationen verbunden. „Zerstörung und Selbstzerstörung“ (Michael Stolleis) charakterisieren den sich länger schon abzeichnenden Umbruch dieser wenigen Monate. Zwar gab es einige Übergangsphasen, auch bei Neubesetzungen und bei möglicher Weiterführung und dem Abschluss von Dissertationen. An der Berliner Universität bestimmten der neu berufene Carl Schmitt (1888-1985) und zudem nicht lange nach ihm Reinhard Höhn (1904-2000) das den Ansprüchen des Staates entsprechende Staatsrecht, jedenfalls bis in die Jahre 1936/1937, als sich dann beide nach ihren machtpolitischen Abstürzen dem Völkerrecht zuwandten. Ihrem Einfluss in Lehre, Ausbildung und Forschung stand dieser äußere gewichtige Machtverlust nicht im Wege. Dem Zusammenhang zwischen der sog. Rechtserneuerung zu dem in den Dissertationen sichtbaren Staatsrecht und Verwaltungsrecht gilt diese nach Methode, Gehalt und Ertrag so exemplarisch wie ungewöhnlich aussagekräftige Arbeit.
Aus der Summe von 333 Promotionen bot sich die Eingrenzung auf 81 aus dem öffentlichen Recht - unter Ausschluss von Völkerrecht und Rechtsgeschichte - also Staatsrecht und Verwaltungsrecht an. Die archivalische Überlieferung grenzte das Sample weiter ein, bleibt aber immer noch immens (Aufstellung, auch der abgebrochenen Promotionen, im Anhang). Einige der Arbeiten setzten auf rechtsgeschichtliche Rückgriffe auf das 19. Jahrhundert oder auf vielfach polemische Abgrenzungen zu früheren Positionen der Weimarer „Systemzeit“. Dennoch bleibt die Rechtsgeschichte in den Themenstellungen eher ein Randgebiet als „Flucht“ in die Vergangenheit oder oftmals ganz außen vor.[1]
Welche Themenzuschnitte und weltanschaulichen Einflüsse unter den Perspektiven „Führertum und Volksgemeinschaft“, „Rasse“ und andern zentralen, ideologisch aufgeladenen Begriffsinstrumentarien sind im Einzelnen zu registrieren, welche Freiräume und welche Kontroversen waren möglich? Das Gesamtbild ist vielfarbiger als angesichts der Machtergreifung vorauszusetzen. Es zeigt interessante Schattierungen.
Aßmanns Systematik orientiert sich an sichtbaren Schwerpunkten. Neben einer ausführlichen Darstellung zu den wichtigsten Betreuern, ihrer wissenschaftlichen Herkunft und Entwicklung konzentriert sich die Einzeldarstellung auf Lebensläufe, Inhalte und Bewertungen generell und en détail. Auf diese Weise werden unterschiedliche Biografien, wissenschaftliche, parteipolitische, militärische und berufliche Karrieren nach zwei Umbrüchen mehr als nur in skizzenhaften, sondern in den gemeinsamen oder auch differierenden Einflüssen, Entwicklungen und Wirkungen punktuell und im Kontext deutlich.
Eine derart intensiv recherchierte und stringent und systematisch durchgehaltene Studie, die auf der Basis eines fachlich sinnvoll eingeschränkten,[2] gleichwohl immer noch enormen Materialbestands sich in einer Mischung aus biografischen, inhaltlichen und quantitativen Momenten rechts- und universitätshistorisch dem übergreifenden Thema „Zwischen Weltanschauung und Wissenschaft“ widmet, darf für sich in Anspruch nehmen, eine geradezu solitäre Spitzen-Leistung auch zur speziellen Dissertationsforschung vorgelegt zu haben. (Betreuer: Rainer Schröder, nach dessen Tod Volker Neumann).
Die Gruppe der in den ersten Jahren nach der „Machtergreifung“ noch mitwirkenden Betreuer verringerte sich eilends um die missliebigen und ausgegrenzten herausragenden Protagonisten Heinrich Triepel, Martin Wolff, Rudolf Smend und Erich Kaufmann. Hans Peters (1986-1966) sollte in der Fakultät als einziger nicht mit dem Regime paktierender, sondern dann mit dem Widerstand in Verbindung stehender Gelehrter eine rühmliche Ausnahme bleiben.
Konkrete Aufschlüsse werden nicht nur geboten in Hinsicht auf die bezeichnende Verteilung von Erstkorrekturen und Zweitkorrekturen, auf die sich einspielenden „Gespanne“ der Betreuer und Bewerter, auf die Generationskohorte der Doktoranden, sondern in diesem universitären Mikrokosmos auch zum meist gut verfestigten Organisationsgrad der Aspiranten in Partei und Staat, zu ihren Lebensläufen bis und nach 1945.
Nun zu Führerprinzip, Volksgemeinschaft und Rassismus. Nach der Darstellung der damaligen spezifischen Abläufe von Promotionsverfahren liegt ein Schwerpunkt auf den Themen, Methoden und - für rechtswissenschaftliche Arbeiten ein Novum – eingehenden Sprachanalyse mit ihren Spannweiten von weitgehender Anpassung an bestimmte erwartete oder verlangte Anforderungen bis hin zu krassen völkisch, rassisch und antisemitisch formulierten Abschnitten und den neuen Begrifflichkeiten und verbal aufgeladenen stilistischen Formulierungskünsten.
Die zielbewusste Ausrichtung oder gelenkte Anpassung an die ideologischen Grundsätze wie Volksgemeinschaft und Rasse oder - vor allem bei Höhn – an seine Grundlehre von der staatsrechtlichen Volksgemeinschaft anstelle des Staates als juristischer Person werden deutlich. Auf dem Hintergrunde von Höhns freilich von einer Reihe anderer Staatsrechtslehrer kritisierten Lehre waren seine Doktoranden meist mehr oder selten weniger davon affiziert.
Carl Schmitts weitgehend akzeptiertes oder jedenfalls sehr einflussreiches, elastisches „konkretes Ordnungs- und Gestaltungsdenken“ prägte seine Forderung nach einem neuen rechtswissenschaftlichen Denktypus. Das schon fast geflügelte Wort fand in vielen Arbeiten starken konkreten methodischen, zum Teil auch schwächeren Widerhall. Das erste zeigte sich etwa in Arbeiten mit Eigentums-Bezug, hier auch mit Rückgriffen auf die ähnlich konzipierten Ansichten Franz Wieackers („Gestaltungen völkischer Ordnungslagen“) und Werner Webers[3]. Carl Schmitts maßgeblicher Einfluss auf die antisemitisch begründete Ablehnung von Zitaten jüdischer Autoren oder Übernahme ihrer Dogmatik ist ohnehin vielfach erforscht.[4]
Wie sich solche Vorverständnisse und ideologischen Grundlagen der NS-Rechtserneuerung und die Zwänge des „literarischen Judensterns“ in Theorie, Ausführung und Sprache auswirkten, ist Gegenstand der minutiösen Einzeluntersuchungen.[5] Das bibliografische Rüstzeug und entsprechende Anweisungen, Zusammenstellungen und Anleitungen wurden vom Ansatz her möglichst flächendeckend geliefert, aber nicht durchgängig umgesetzt.
Im Staatsrecht wird die je unterschiedliche, aber nach Themenwahl, Ausführung und bereitwilligen sprachlichen Übernahmen der erwünschten Argumentationsmuster und Nomenklaturen deutliche Distanz zur bisherigen Staatsauffassung nur allzu deutlich. Das zeigt sich etwa an meist „machtnahen“ Arbeiten zur Eigentumslehre, zur Enteignung und den Schranken im NS-Staat, zum Reichsarbeitsdienst oder Reichsbürgergesetz, zur Volkstumspolitik, zur Wehrpflicht, zur staatsrechtlichen Stellung der Frau, zur Reichsreform, zum Kommunalrecht und Reichsorganisationsrecht, in Arbeiten über das Verhältnis von Partei und Staat oder der Kompatibilität von Ämtern. Dass schon durch Interesse für ein gewünschtes, angeregtes oder selbst gewähltes Thema eine besondere Ideologisierung und Politisierung Eingang fand, kann nicht verwundern. Wie stark der Einfluss des Betreuers jeweils auf die Auswahl und Bestimmung des Themas war, lässt sich eher indirekt aus dem Zusammenhang entnehmen, den er mit Lehre und Forschung des Betreuers hatte.
Höhn widmete sich nicht zufällig bis zu seiner partiellen Entmachtung durch Entzug der Leitungsposition im SD (= Sicherheitsdienst in der Schutzstaffel/SS) der auslandswissenschaftlichen „Gegnerforschung“, vorzugsweise in Konfrontation seiner aggressiven Konzeption gegen den Erzfeind Frankreich, gegen England und die USA.
Im Fach Verwaltungsrecht dominierten Polizeirecht, ständische Ordnung, Disziplinar- und Ehrengerichtsbarkeit, Gewerberecht und sogar dem durch Gleichschaltung schnell besonders stark umgestalteten und gleichgeschalteten Presserecht sowie einzelne Themen des besonderen Verwaltungsrechts.
Es ist nicht ohne Reiz, wie sich die Doktoranden zuweilen in Arbeiten, die von Carl Schmitt und Peters betreut wurden, in weniger eleganten als mühevollen Drahtseilakten zu Höhns Gemeinschaftsdenken und seinen Folgen fürs Staatsrecht stellten. So wie den Ansichten Höhns erwiesen Doktoranden Carl Schmitts ausgefeiltem, funktional verwendbaren „konkreten Ordnungsdenken“ auf zuweilen etwas unterschiedliche Weise letztlich doch ihre ergebene Reverenz. Peters gelang es, bei Themenwahl und Durchführung den möglichen Spielraum abseits der vorherrschenden Doktrinen geschickt zu nutzen und offene Konflikte zu vermeiden.
Kleinkriege im Elfenbeinturm: Eine Gesamtbetrachtung zeigt, nicht unerwartet, dass die Mehrzahl der strikt nationalsozialistisch ausgerichteten Arbeiten bei Höhn geschrieben worden ist. Die bekannten staatsrechtlichen Kontroversen mit Höhn wurden in den bei Carl Schmitt und Peters vorgelegten Arbeiten überwiegend umschifft oder allenfalls versteckt oder gestreift, ein Beispiel für fortdauernde systemimmanente Kontroversen und die politisch wenig relevante Zulässigkeit der in Elfenbeintürmen nicht seltenen Kleinkriege unter Großordinarien.
Die sorgfältig für die Zeit vor und nach 1945 recherchierten Karrieren, durch Kriegsteilnahme, Einsatz in Verwaltungspositionen oder Parteipositionen geprägt, nach 1945 zunächst durch bekannte nachkriegsbedingte Hindernisse beeinträchtigt, lassen selten eine nachhaltige Behinderung durch wissenschaftlich-publizistische oder parteibezogene Belastungen erkennen, selbst wenn sie die Nachkriegszeit bald in Höhen auf Bundes-, Landes- oder Kommunalebenen, in das Auswärtige Amt, in die Politik oder in höhere Richterämter führten. Pauschalisierend gesagt wird insgesamt in Wissenschaft und Justizwesen das durchgängige Portrait einer an eindringlicherer Aufarbeitung der Vergangenheit nicht interessierten Nachkriegsgesellschaft bestätigt. Die kollektiven Verstrickungen tauchten im Dickicht kollektiver Verdrängungseffekte unter.
Weitere ähnlich anspruchsvolle und ertragreiche Arbeiten für andere Bereiche, Fakultäten und Universitäten könnten vergleichbare Ergebnisse ermöglichen.
Die vielfältigen, wenngleich auch in großen Teilen erwartbaren Befunde spiegeln subtile Entwicklungen staatsrechtlicher und verwaltungsrechtlicher Promotionen von der Konsolidierung des Nationalsozialismus bis zu den kriegsbedingten Verfallsperioden wider. Gewisse Differenzierungen lassen es zu, kein gänzlich gleichgeschaltetes Spektrum, sondern facettenreiche Abstufungen zu konstatieren. Dass mit Sidney Jacoby 1933 noch ein Jude (bei Friedrich Glum), 1936 auch ein als sog. „Mischling“ geltender Doktorand abschließen durfte, entspricht Entwicklungen in anderen Fächern und - ja nach stärkerer oder schwächerer nationalsozialistischer Durchdringung – der Lage an anderen deutschen Universitäten. Je nach Rektorat oder herausgehobener Lage konnten sich bekanntlich trotz zunehmender dynamischer Radikalisierungsschübe, markiert durch die „Nürnberger Gesetze“, die Pogrome um 1938 und die innenpolitische und Kriegsentwicklung, noch teilweise Juden und sog. „Mischlinge 1. und 2. Grades“ unter besonderen Umständen an den Universitäten halten und qualifizieren.
Seit Mitte der dreißiger Jahre waren Höhn, Schmitt und Peters ganz überwiegend die Betreuer. Höhns weltanschauliche Prägung tritt in den Arbeiten deutlicher als bei den von Carl Schmitt betreuten hervor. Sein methodisch-inhaltlicher Ansatz des konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens zieht sich jedoch durch die Mehrzahl der Arbeiten zuweilen weniger zitiert, sondern als eine Art allgemein vorausgesetzte „Blaupause“ (S. 672) durch, in der Tendenz bei etwa der Hälfte der Dissertationen in einem neutraleren fachlichen Duktus.
Anpassungsleistungen, Konformitätsdruck, linientreue Orientierungen sind sodann die weiteren Ecksteine. Die Mischung von echten Überzeugungen, von Opportunismus und vorauseilender Selbstzensur bildeten eine Art Korsett für eine ganz überwiegend machtergebene Funktionselite - nach Aßmann eine für die Wissenschaft jedenfalls „verlorene Generation“. Es handelte sich jedoch individuell und generell regimegeprägt regelmäßig nicht um lediglich angepasste Mitläufer, sondern um mit dem Nationalsozialismus weitgehend übereinstimmende Aspiranten auf laufbahnfördernde akademische Qualifikationen. Sie zielten, wie die Übersicht zeigt, fast durchweg nicht auf einen Verbleib in universitären Institutionen. Neben den üblicherweise für Juristen offenen Stellungen wurden neben aussichtsreichen Leitungsfunktionen – Ortsgruppenleiter, Standortleiter oder Kreisleiter -, auch exponiertere Funktionen in Verwaltung und Justiz angepeilt - bis hin zum Sicherheitsdienst der SS, der sich ohnehin als aussichtsreicher Standort und Sprungbrett für erfolgreiche Juristenkarrieren erweisen sollte.
„Schmitt und vor allem Höhn gaben ... einen nationalsozialistischen Ton vor.“ (S. 675f.). Erst der differenzierte, subtile Blick auf die Ergebnisse von akademischen Arbeiten in der Diktatur in solchen fundamentalen, materialreichen Arbeiten vermag es, die generalisierenden theoretischen und wissenschaftsgeschichtlichen Einschätzungen eines wichtigen Teilbereichs der Universitätsgeschichte differenziert und aufs Anschaulichste zu belegen. Sie erweitern und vertiefen das durch andere Teiluntersuchungen und Einblicke in benachbarte Forschungsbereiche unter den Bedingungen der Diktatur mögliche Bild der Interdependenz von Weltanschauung und Wissenschaft. Sie lassen in den Brennspiegeln der eindringlich vorgestellten Arbeiten, vor allem aber auch der Bewertungsmodi und Stufungen jene marginaleren Unterschiede erkennen, die in der monokratisch ausgerichteten, partiell geduldeten Polykratie einer Diktatur ansatzweise aufscheinen.
Düsseldorf Albrecht Götz von Olenhusen
[1]Dazu Felix Kraushaar, Aufbruch zu neuen Ufern – Die privatrechtlichen und rechtshistorischen Dissertationen der Berliner Universität im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts im Kontext der Rechts- und Fakultätsgeschichte. Berlin 2014.
[2] Siehe dazu die Vorstudie von Jaron Aßmann: Die Dissertationen der juristischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin zwischen 1933 und 1945, in: Schröder, Rainer/Klopsch, Angela/Kleibert, Kristin (Hrsg.): Die Berliner Juristische Fakultät und ihre Wissenschaftsgeschichte von1810 bis 2010, Berlin 2010, S. 105-141.
[3] Thorsten Keiser, Eigentumsrecht im Nationalsozialismus und Fascismo. Tübingen 2005, S. 120ff. zu Carl Schmitt.
[4] Siehe dazu nur Volker Neumann, Carl Schmitt als Jurist, Tübingen 2015.
[5] Vgl. Otmar Jung, Der literarische Judenstern – Die Indizierung der „jüdischen“ Rechtsliteratur im nationalsozialistischen Deutschland. In: VjhfZ = Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 2006, S. 25-59.