Hohendorf, Thomas, Know-how-Schutz und Geistiges Eigentum.
If I have seen farther it is by standing on the shoulders of Giants, Isaac Newton 1675
Die Frage nach der rechtlichen Einordnung des Know-How-Schutzes hat durch die Europäische Richtlinie über den Schutz vertraulichen Know-Hows und vertraulicher Geschäftsinformationen von 2016 (RL 2016/943/E/L 157, kurz: Know-how-Richtlinie) und das daraus folgende deutsche Geschäftsgeheimnisgesetz vom 18. 4. 2019 (GeschGehG) mit dem Verbot unrechtmäßiger Erlangung, Nutzung und Offenlegung geheimer Informationen neue Aktualität, aber auch einen Markierungspunkt gefunden. Liegt damit ein neues Immaterialgüterrecht vor oder ist es de lege ferenda als absolutes subjektives Recht zu begründen und damit grundsätzlich aufzuwerten?
Die fundierte, für das Immaterialgüterrecht, seine Grundlagen und Dogmatik exemplarische Studie (Betreuerin: Eva Inés Obergfell) setzt mit einer begrifflichen Erfassung von Know-How – auch mit Rechtsvergleichen zum US-amerikanischen und englischen Recht – ein, stellt sie in Beziehung zu dem Begriff des geistigen Eigentums und den Schutz in das System des deutschen Rechts. Zweifellos scheidet nach der neuen Gesetzeslage mit dem Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG) ein absoluter Schutz aus.
Das bestätigt der Blick auf normativen Befund, Judikatur und Lehre. Bedenken gegen einen absoluten Schutz sind mehrfach begründet: Der Vergleich mit anderen Schutztatbeständen, aber auch die Probleme mit Informationsfreiheit, mit freiem Wettbewerb und Arbeitnehmerfreizügigkeit zeigt wichtige Hürden auf.
Die Perspektive richtet sich auf einschlägigen Schutz im internationalen und europäischen Recht. Der Ausschluss des Geschäftsgeheimnisses vom „geistigen Eigentum“ sei nach internationalem und Unionsrecht nicht zwingend.
Das Common Law liefert ein vielfarbiges Bild: Vertrags-, Delikts-, Billigkeits- oder Eigentumsrecht werden als systematischer Ort angesehen. Rechtshistorisch ist eine eindeutige Begriffsbildung als Eigentum nicht zu konstatieren. Die Ergebnisse lassen sich schwerlich für das deutsche Recht mit Gewinn verwerten. Geheimnisschutz im englischen Recht – jetzt mit der Trade Secrets Regulations von 2018 normiert – basiert auf Vertrauensschutz des case law. Der Schutz in den Vereinigten Staaten von Amerika fällt uneinheitlich aus, die Einordnung ist strittig. Der Rechtsvergleich liefert jedenfalls kaum griffige Anknüpfungen.
Den Kern seiner Rechtfertigung eines weitergehenden Schutzrechts findet der Verfasser im Investitionsschutz und Investitionsanreiz. Dabei wird auf utilitaristische Begründungsansätze zurückgegriffen. Ethische und rechtsphilosophische Grundsätze wie die im anglo-amerikanischen Rechtskreis gerne verwendete Schlagzeile „to ride on the coat-tails of another“ verweisen auf Parallelen zur misappropriation doctrine beim Contentschutz und zum passing off im englischen Markenrecht.
Empirische Studien für Europa im Vorfeld der Richtlinie der Europäischen Union wollten einen verstärkten Investitionsschutz, methodisch und inhaltlich begrenzt, als sinnreich oder notwendig erklären. Hier wird primär ökonomistisch argumentiert. Die dogmatisch brüchigere Basis führt zu einer sehr eingehenden und interessanten, auch historischen und aktuellen Musterung der Rechtfertigung von Immaterialgüterrechten mit ihrer Vielfalt geschichtlich-klassischer Eigentumslehren. In der Tendenz werden danach weniger die „idealistische Wurzel“ des Schutzes geistigen Eigentums als ökonomietheoretische Gründe im Fokus stehen (S. 191).
Die Frage, ob diese historische Sicht für die Perioden der Entstehung modernen Patentrechts und Urheberrechts zutreffend ist oder nicht, mag dahinstehen. Hier begegnen sich ideengeschichtlich, ökonomisch und sozialgeschichtlich basierte Unterschiede in der Rechtsgeschichte zum Patentrecht und Urheberrecht. Zwingenden Schlussfolgerungen für die Rechtspolitik lassen sich daraus nicht ableiten.
Interessant erweist sich der Vergleich des Know-how-Schutzes mit Immaterialgüterrechten (S. 192-201). Hier vereinfachte Schlussfolgerung: Know-how-Schutz gehöre in das Recht des geistigen Eigentums, vergleichbar dem Leistungsschutz für Computerprogramme, Datenbankhersteller und Presseverlage. Man stößt in Dogmatik und Rechtspolitik hier freilich auf massive Differenzen.
Der Vergleich der Wesensmerkmale und Schutzprinzipien im Immaterialgüterrecht läuft – so der Verfasser - auf grundsätzliche Vereinbarkeit hinaus. Die Inkonsistenzen sind jedoch unübersehbar. Rechtspolitisch wird im Ergebnis hier eine maximale Schutzdauer präferiert verbunden mit normativer Möglichkeit des sog. reverse engineering.
Ein zentraler Abschnitt gilt dem Thema: Gegenstand eines Immaterialgüterrechts. Der sparsame Rückgriff auf empirische Untersuchungen zeigt Faktoren für Patentschutz einerseits, Know-how-Schutz andererseits auf. Deutlich tritt das Problem eines Schutzes bei der engen Nachbarschaft zu Patent und Gebrauchsmuster und der denkbaren „Degradierung“ des einen oder des anderen hervor.
Die Untersuchung soll sich nicht auf Auswirkungen der Rechtserweiterung auf Arbeitermobilität erstrecken: Sie kann dann doch nicht umhin, sich im späteren Verlauf mit Arbeitnehmerinteressen zu befassen (S. 267ff.). Hier folgt sie einem Teil der herrschenden Meinung, die sich innerhalb der normativen widersprüchlichen Differenzen zwischen Urheberrecht, Vertragsrecht und Arbeitsrecht ganz überwiegend gegen weitergehenden Arbeitnehmerurheberschutz entscheidet, obwohl empirisch gesehen die Mehrzahl entsprechender Schöpfungsvorgänge in abhängiger Arbeit, sog. Freie Mitarbeit inclusive, erfolgt und entgegen dem Grundsatz, der Urheber müsse an allen Verwertungen und Erträgen beteiligt werden, dieser sich ökonomisch nicht realisiert.
Der Verfasser folgt dem Postulat der weitgehenden Rechtszuständigkeit des Arbeitgebers. Die faktischen wie normativen Befunde sieht er konsequent in dieser Perspektive. Gleichwohl wird entgegen der eingangs erfolgt Begrenzung der Fragestellung eine knappere Auseinandersetzung mit Arbeitnehmermobilität angedeutet.
Sie fällt zu Lasten des Arbeitnehmers aus – ungeachtet eines gegenläufigen Meinungsstandes (S. 303f). Maßgebliche Studien von Eberhard Dorndorf, Freie Arbeitsplatzwahl und Recht am
Arbeitsergebnis (1979) oder Rüdiger Krause, Mitarbeit in Unternehmen (2002), um nur diese zu nennen, hätten ob des angedeuteten Problembereichs einen Seitenblick auf solche – nicht nur rechtlich-dogmatisch relevante – Studien und Spannungsverhältnisse im Feld zwischen Recht und Wirtschaft verdient.
Die Diskussion von Arbeitnehmerinteressen fällt gegen diese aus. Mit dem Arbeitnehmererfinderrecht ergäben sich keine Kollisionen; so soll auch vom theoretischen Ausgang her der abhängige „Urheber“ von Know-how – eine erwogene Anlehnung an das Bestsellerrecht (§32a UrhG) ausgenommen – bei Einführung eines Schutzrechts leer ausgehen. Die diskutierte Berücksichtigung persönlichkeitsrechtlicher Interessen bleibt auf dem materiell geringwertigen Stand, den schon das Arbeitnehmerurheberrecht und Erfinderrecht kennzeichnet.
Die Gefahr, dass ein weitgefasster Schutzgegenstand wissenschaftliche Erkenntnisse, abstrakte Ideen und Theorien einem Schutz unterwirft, dass Monopolisierung und Nachahmungsfreiheit problematisch sind, wird gesehen; ihr solle auch künftig begegnet werden. Der Schutz des gutgläubigen Dritten bei Erwerbsvorgängen sei nach vorgestellten Konzept de lege ferenda erheblich zu erweitern. Das würde allerdings Prinzipien des Immaterialgüterrechts diametral zuwiderlaufen.
In Klarheit werden offene Fragen, Problemstellungen und Interessenabwägungen und die Summierung von Vorteilen eines Rechts in differenzierten Schlussbetrachtungen präzise zusammengefasst. Dass die EU-Know-how-Richtlinie auch dekretiert, dass Arbeitnehmerinteressen nicht tangiert werden dürften, wird erwähnt. Mit dem apodiktischen reduktionistischen Satz, dass Erfahrungswissen meist Teil des Bestands des früheren Arbeitgebers sei, das im neuen Arbeitsverhältnis nicht genutzt werden dürfe, wird sich das Problem nicht erledigen lassen. Wenn Geheimhaltungsinteresse an divergenten „Objekten“, besonderen Verfahren, Methoden, Konstruktionen und anderen Geheimhaltungsobjekten wie Algorithmen, Kundendaten etc. besteht und auf sehr unterschiedliche Weise nach Genese, Geheimhaltungs- und Gesetzesschutzinstrumenten bereits schützbar sein kann, vermag man damit die faktischen und normativen Systemdifferenzen, die in der Studie insgesamt in hervorragender Weise deutlich werden, nicht mit einem legislatorischen Federstrich pro untenehmerisches Schutzrecht einzuebnen.
Die Kautelarjurisprudenz hat inzwischen die durch das Geschäftsgeheimnisgesetz beflügelte Vertrags- und Arbeitsrechts-Instrumentarium entwickelt bis hin zu neu gefassten Bedingungen in schon bekannten, jetzt verschärfteren „non-disclosure-agreements“ - und bis zur frivolen Höhe von „catch-all“-Klauseln.
Der Satz, dass Zwerge auf den Schultern von Riesen weiter sehen als diese - bei Merton historisch-soziologisch auf die historische Entwicklung, feinsinnige Versionen und eleganten Gebrauch für Konstruktion, Reichweite und Nutzen von Wissen gewendet - charakterisiert das Dilemma, in welche die Rechtspolitik durch die Widersprüche von Nachahmungsfreiheit, Imitationswettbewerb, Forschungsanreiz und Geheimnisschutz gerät.
Im Ergebnis fällt das sachkundige Plaidoyer für einen weitgehenden, immaterialgüterrechtlichen Know-how-Schutz erwartbar positiv aus. Mit der Umsetzung der Richtlinie der Europäischen Union ist für das deutsche Recht keine Entscheidung für eine von dem Verfasser erwünschte Entscheidung für hochgelobte Vorteile eines neuen Immaterialgüterrechts getroffen worden und wohl auch so bald nicht zu erwarten.
Düsseldorf Albrecht Götz von Olenhusen