Headrick, Daniel R., Macht euch die Erde untertan.

Die Umweltgeschichte des Anthropozäns, aus dem Engl. v. Richter, Martin. Wissenschaftliche Buchgesellschaft/Theiss, Darmstadt 2021. 639 S., 17 Abb. Besprochen von Werner Augustinovic. ZIER 12 (2022) 00. IT

Headrick, Daniel R., Macht euch die Erde untertan. Die Umweltgeschichte des Anthropozäns, aus dem Engl. v. Richter, Martin. Wissenschaftliche Buchgesellschaft/Theiss, Darmstadt 2021. 639 S., 17 Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Nicht nur in Kreisen der Wissenschaft, sondern auch gesamtgesellschaftlich gewinnt mittlerweile die Erkenntnis zunehmend Raum, dass der ausbeuterische Umgang des Menschen mit den begrenzten Ressourcen unseres Planeten nicht ad infinitum fortgesetzt werden kann. Am prominentesten wird dieses Thema am Beispiel des menschengemachten Klimawandels diskutiert, dessen Folgen bereits deutlich spürbar sind und der nach den Warnungen der seriösen Forschung durchaus geeignet ist, sich nach einem Take off so zu verselbständigen, dass er, durch menschliches Handeln nicht mehr einhegbar, zur größten Gefahr für den Weiterbestand der Menschheit werden könnte. Weltweite Klimakonferenzen und ihre Übereinkünfte sollen die rechtlichen Voraussetzungen für koordinierte, bindende und effiziente politische Entscheidungen bereitstellen. Der unterschiedliche Grad der Entwicklung und divergierende Interessen der einzelnen Staaten sowie der Egoismus vieler erschweren allerdings erheblich die Zielerreichung, sodass fraglich bleibt, ob die notwendigen strukturellen Eingriffe im erforderlichen Ausmaß noch zeitgerecht umgesetzt werden (können).

 

In Anbetracht dieser Umstände lohnt wie so oft ein Blick zurück in die Vergangenheit, um näher aufzuzeigen, wo die gegenwärtige Misere ihren Ausgang genommen hat und welche Weichenstellungen folgenreiche Entwicklungen angestoßen haben. Der bis 2008 an der Roosevelt-University in Chicago lehrende amerikanische Historiker und Sozialwissenschaftler Daniel R. Headrick widmet sich dem Thema in 15 Abschnitten, die von einer Einleitung und dem Epilog gerahmt sind. Der Titel der englischen Originalausgabe (2020) scheint dabei treffender als der vorliegende in deutscher Übersetzung: „Humans versus Nature. A Global Environmental History“, also in etwa „Menschen gegen die Natur. Eine globale Umweltgeschichte“. Weshalb der Verlag hier diese klare und angenehm sachliche Titulatur aufgegeben und durch das kriegerisch anmutende Bibelzitat sowie den unbestimmten Artikel (denn dem Verfasser ist mit Sicherheit bekannt, dass bereits vor über zwei Jahrzehnten Joachim Radkau mit „Natur und Macht“ [2000] explizit eine umfangreiche „Weltgeschichte der Umwelt“ vorgelegt hat) durch den Exklusivität suggerierenden bestimmten Artikel ersetzt hat, erschließt sich dem Rezensenten nicht wirklich.

 

„Der Antagonismus zwischen Mensch und Natur ist so alt wie der Mensch. Aber die Machtverhältnisse zwischen Mensch und Natur haben sich im Anthropozän dramatisch zu ungunsten der Natur verschoben“ – so bringt der Klappentext die Quintessenz des Bandes auf eine treffende Formel. Unter Letzterem versteht man nach dem Schöpfer des Begriffs, Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen (2002), eine dem Pleistozän (Eiszeit) und dem Holozän (Epoche einer gemäßigten Erwärmung in den letzten 10.000 Jahren) nachfolgende dritte, besonders von der ab dem Ende des 18. Jahrhunderts einsetzenden Industrialisierung beschleunigte geologische Phase, in der menschliche Aktivitäten und deren Kohlendioxidausstoß zu 90 Prozent für eine Erdklimaerwärmung verantwortlich zeichnen. Der Treibhauseffekt ist somit wohl die schwerwiegendste, wenngleich keineswegs die einzige Auswirkung menschlicher Existenz auf die ihn einbettende, diese Existenz ermöglichende Natur.

 

Der Verfasser geht in seiner Betrachtung zurück bis zum Auftreten der ersten Menschen und dem Exodus des Homo sapiens von Afrika aus in alle Welt, und bereits diese Verbreitung sei von einem raschen Aussterben vieler (vor allem großer) Tierarten begleitet gewesen. „Während alle Lebewesen ihrer Umwelt Ressourcen entnehmen, gehen Menschen regelmäßig über die Bedürfnisse von Überleben und Fortpflanzung hinaus. […] Von allen Tieren tötet nur der Homo sapiens bis zur Ausrottung anderer Tierarten. Unsere Intelligenz und Kommunikationsfähigkeit haben das leicht gemacht“. Der nächste Schritt „führte die Menschheit in eine ganz neue Richtung: von der Abhängigkeit vom Überfluss der Natur zur Nahrungsproduktion und zur Vermehrung, was die nächste große Transformation des Planeten auslöste“ (S. 45). Ackerbau und Viehzucht „scheinen auch das Klima verändert zu haben“ und „Menschen (entwickelten sich) physisch und psychisch zu einer Abhängigkeit von ihren Herden und Feldern“  (S. 81). Das Schicksal der frühen wasserbasierten Hochkulturen „hing […] nicht allein von der Gnade der Natur ab. Worauf es ankam, waren die Interaktionen zwischen der Veränderlichkeit des Klimas und der Widerstandsfähigkeit der davon betroffenen Gesellschaften. Einige Kulturen wie die Ägyptens und Nordmesopotamiens […] konnten sich nach jeder Krise erneuern. Andere wie die der Maya und der Anasazi brachen […] zusammen und erholten sich nie wieder“ (S. 110). Die großen Reiche der Römer (Eurasien) und der Han (China) zogen selbstverständlich Umweltveränderungen vieler Art nach sich, der feststellbare Bevölkerungsrückgang in den Jahrhunderten nach der Zeitenwende sei dann, so wird behauptet, „Ergebnis einer erhöhten Anfälligkeit, welche die Zivilisation mit sich brachte“, gewesen: „Große Bevölkerungen, enger Kontakt zwischen Menschen und Tieren, dicht bevölkerte Städte und zunehmender Verkehr zwischen Regionen machte die Menschen verletzlich gegenüber Naturkatastrophen, vor allem Epidemien und abrupten Klimaveränderungen“ (S. 140).

 

Folgt man diesem Gedanken, so zeigt sich, dass die verstärkte Vernetzung menschlicher Zivilisationen immer gravierendere Veränderungen der natürlichen Umwelt evozierte und manches Übel für viele Menschengruppen heraufbeschwor, aber auch neue Ressourcen erschloss. Von der Invasion Amerikas profitierten „einige wenige Europäer (überproportional)“, während „viele andere […] litten oder dabei ihr Leben verloren“. Sie war „für Afrikaner […] eine Tragödie und für die amerikanischen Ureinwohner […] eine beispiellose Katastrophe in der Weltgeschichte“ (S. 212). Auf der anderen Seite sicherten Nutzpflanzen aus der Neuen Welt wie Mais und Kartoffeln in der Folge das Überleben von Menschen in Europa, Afrika und China.

 

Wie der Verfasser festhält, hatten die Menschen „bis zum Ende des 17. Jahrhunderts bereits große Fortschritte auf Kosten der Natur gemacht [… ,] doch […] war der Sieg der Menschheit nicht selbstverständlich. Epidemien hatten die Bevölkerung Amerikas um 90 Prozent dezimiert, die Kleine Eiszeit hatte in ganz Eurasien Ernährungskrisen verursacht, und die Pest plagte immer noch den Nahen Osten. Vom 18. Jahrhundert bis heute sind die Menschen stärker gewesen. Sie haben sich vermehrt wie nie zuvor, haben sich die Erde untertan gemacht und schließlich die Herrschaft über (fast) alle Lebewesen erreicht. Die Ursachen dieser Überlegenheit sind vielfältig und komplex, aber eine sticht hervor: die industrielle Revolution“ (S. 243). Bald sei die Nachfrage nach industriell produzierten Produkten so groß geworden, dass „die Welt in ein neues Zeitalter der Massenproduktion und des Massenkonsums eintrat“. Was die Aneignung von Erdressourcen angeht, kam „nach Jahrtausenden langsamer und schwankender Zunahmen ein plötzlicher Anstieg zum exponentiellen Wachstum, der bis heute anhält“ (S. 281). Im Zuge des Imperialismus seien „die nichtwestlichen Teile der Welt immer enger in die westlich dominierten Netzwerke von Macht und Handel integriert“ worden (S. 316), Auswirkungen auf die jeweilige Umwelt habe es da wie dort gegeben, aber mit dem bedeutsamen Unterschied, dass den armen Ländern Maßnahmen zur Milderung schädlicher Auswirkungen versagt blieben und der Lebensstandard ihrer Bevölkerung mit dem Wachstum nicht Schritt zu halten vermochte.

 

Im letzten Drittel der Arbeit wird ein Bündel von Problemen und Entwicklungstendenzen zur Sprache gebracht, die seit dem 20. Jahrhundert verstärkt in das Rampenlicht gerückt sind und dringend kreativer Lösungen bedürfen. Unter anderem geht es um die ökologischen Auswirkungen von Kriegen und von staatlich vorangetriebenen technischen und volkswirtschaftlichen Entwicklungsprojekten (wie beispielsweise die Errichtung großer Staudämme), die Bedürfnisse der Konsumgesellschaft (Automobile, fossile Energieträger, industrielle Landwirtschaft), um Klimawandel und Klimakriege, die Plünderung der Ozeane (industrielle Fischerei) und die Schäden im Lebensraum Meer (tote Zonen, Müll, Korallensterben, Versauerung, Anstieg des Meeresspiegels) sowie um das Artensterben. Das abschließende 15. Kapitel erörtert die Maßnahmen, die bis dato einem zunehmenden, aber bislang keineswegs noch homogen entwickelten Umweltbewusstsein entsprungen sind.

 

In seinem Epilog spricht Daniel R. Headrick von einem „Dreieck künftiger Möglichkeiten“ (S. 515) für die Zukunft unseres Planeten: Erstens der Traum von einer nachhaltigen Welt, dem aber unser Charakter und unsere Gewohnheiten entgegenstehen; zweitens ein Weiter wie bisher mit all seinen zerstörerischen Auswirkungen auf die Natur; drittens schließlich ein Erdmanagement, das auf institutionelle Veränderung und umwelttechnische Innovationen setzt. „Irgendwo zwischen den Ecken des Dreiecks liegt die Zukunft“. Dazu tritt noch ein vierter, stets präsenter, aber vom Menschen nicht kontrollierbarer Faktor: „Die Natur kann uns immer noch überraschen, durch Asteroiden, Pandemien, Vulkanausbrüche oder plötzliche Klimaveränderungen. Wenn die Natur interveniert, kann die Zukunft des Planeten auch außerhalb des Dreiecks der Möglichkeiten liegen. Was auch immer geschieht, womöglich werden die Menschen einmal neidisch auf unser Zeitalter zurückschauen“ (S. 526). So es dann noch Menschen gibt, wird man wohl ergänzen müssen. Die gleichsam dem Nichts entsprungene, immer noch andauernde Corona-Pandemie mit der Sehnsucht der Menschen nach alltäglicher Normalität bestätigt offenkundig die Plausibilität der These des Verfassers.

 

Ursula Lehmkuhl hat einst in ihrem Beitrag „Umwelt“ (2012) drei unterschiedliche Perspektiven der Umweltgeschichte in der Analyse der Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Natur herausgearbeitet: Eine erste, perzeptions-, diskurs- und kulturgeschichtliche Richtung, die bei Umwelt-Ethiken, Gesetzen, Mythen und der Bildenden Kunst ansetzt; die zweite, die sich kritisch-handlungsorientiert ausrichtet, sozioökonomische, ökologische und kulturelle Kontexte untersucht und oft ein Ausbeutungs- und Zerstörungsnarrativ pflegt; schließlich eine weitere, dritte, öko- und biozentrische Richtung, welche die Natur als historischen Akteur betont und sich in der Beschäftigung mit Naturkatastrophen, Epidemien, dem Klimawandel, der Umweltverschmutzung und der Verstädterung der longue durée verschrieben hat. Die gegenständliche Arbeit Daniel R. Headricks bewegt sich in diesem Koordinatensystem und legt ihr Schwergewicht über weite Strecken vor allem auf eine Verknüpfung der beiden letztgenannten Forschungsansätze, während die einem wachsenden Umweltbewusstsein entspringenden politischen Bemühungen, Übereinkünfte und gesetzlichen Normen sich konzentriert im letzten Kapitel finden. Obwohl den Eingriffen des Menschen ausgeliefert, erscheint die Natur bei Headrick stets als ein hyperkomplexes System mit dem Charakter eines eigenständigen Akteurs und Gegenspielers, dessen Verhalten keineswegs zu hundert Prozent berechenbar oder gar kontrollierbar ist und damit die menschliche Zivilisation immer wieder mit potentiellen und aktuellen Gefährdungen konfrontiert hat und konfrontiert.

 

Das vorliegende, sauber recherchierte und dokumentierte Werk ist thematisch breit angelegt, setzt exemplarische Schwerpunkte und verdeutlicht die wesentlichen Entwicklungen, die der Mensch über Jahrtausende in der Interaktion mit seiner Umwelt angestoßen hat. Es fasst viel bereits Bekanntes organisch zusammen, wobei es müßig ist zu sagen, dass nicht alles, was der Erwähnung wert wäre, in den bereichernden Band einfließen kann. Dass aber bei dem Umfang, in dem hier die Klimafrage erörtert wird, weder die jugendliche Aktivistin Greta Thunberg noch das Engagement der von ihr ins Leben gerufenen, breite öffentliche und politische Aufmerksamkeit generierenden Klimaschutz-Protestbewegung Fridays for Future irgendeine Erwähnung finden, ist doch überraschend und muss als Defizit angemerkt werden. Hier geht nicht zuletzt jene Generation auf die Straße, in deren Lebenszeit wohl zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit Klimaschutz keine akademische Frage bleiben darf, sondern zu einer existentiellen Notwendigkeit mutieren könnte oder wird.

 

Kapfenberg                                                    Werner Augustinovic