Krach, Tillmann, Das Novemberpogrom in Mainz

Mainz im Spiegel seiner strafrechtlichen Aufarbeitung (= Quellen und Forschungen zur Strafrechtsgeschichte 16). Erich Schmidt, Berlin 2021. X, 131 S., 17 Abb. Angezeigt von Gerhard Köbler. ZIER 12 (2022) 78. IT

Der Mensch ist zwar ein soziales Wesen, das zu seinem Fortbestand des Mitmenschen bedarf, kann aber auch aus eher unbedeutendem Anlass zu dem ärgsten Feind eines Mitmenschen werden, dessen Endziel dessen Vernichtung werden kann. Für diese Zusammenhänge hat die Geschichte bisher mehr als genug Beispiele geliefert, deren Zahl sich auch in Zukunft mit Sicherheit noch erhöhen wird. Der Egoismus des einen Individuums oder der einen Gruppe kann nur zu leicht zu einer Lebensgefahr für einen anderen Einzelmenschen oder eine andere Gruppe werden.

 

Mit dem Beispiel der Ausschreitungen in Mainz während der Nacht des 9. November 1938 (und an dem darauffolgenden Tage) beschäftigt sich das schlanke Werk des in Mainz 1960 geborenen, nach dem Abitur an dem altsprachlich-humanistischen Gymnasium in Mainz und Dijon in Rechtswissenschaft ausgebildeten und seit 1990 als Rechtsanwalt tätigen Verfassers, der in seiner Heimatstadt 1990 über jüdische Rechtsanwälte in Preußen beziehungsweise über die Bedeutung der freien Advokatur und ihre Zerstörung durch den Nationalsozialismus promoviert worden war und danach die Erinnerungen des jüdischen Rechtsanwalts Paul Simon in Mainz, den Anwaltsalltag in der Deutschen Demokratischen  Republik, das Schicksal der Mainzer Anwälte jüdischer Herkunft und die Lebenserinnerungen Max Friedlaenders bearbeitet hat. Ihm war aufgefallen, dass man über die Mainzer Ausschreitungen in der einschlägigen Literatur recht wenig erfahren konnte, dass aber bekannt war, dass ein Lehrer des von ihm besuchten Gymnasiums aktiv daran teilgenommen hatte. Das ließ ihm keine Ruhe, so dass er zunächst das Schularchiv und danach das Landesarchiv Speyer durchsuchte, wobei sich ihm eine in dem Laufe der Zeit immer mehr vergrößerte Fundgrube eröffnete, wobei an dem Anfang seiner Forschungen der Versuch stand, der historischen Wahrheit näher zu kommen, sich aber später die grundsätzliche Problematik in den Vordergrund drängte, wie überhaupt in dem nationalsozialistisch geprägten Staat begangene Taten nach 1945 mit den Instrumenten eines Rechtsstaats angemessen verfolgt und geahndet werden konnten und wie insbesondere in Mainz innerhalb der Besatzungszone Frankreichs die Rechtsanwendungpraxis gewesen ist.

 

Sein aufschlussreiches Ergebnis gliedert der Verfasser nach seiner persönlichen Vorbemerkung und einer kurzen Einleitung über Strafverfahren und Strafprozesse als historische Quelle in drei Teile. Sie betreffen die Chronologie und Orte der Ausschreitungen (Neue Synagoge, Kaufhäuser und Gutenbergplatz, Bleichenviertel, Lotharstraße, Kaiserstraße/Schulstraße, Weisenau, Bretzenheim, Hechtsheim, Finthen, Gonsenheim und weitere Orte), die Verfolgung und Ahndung der Taten durch die Justizorgane nach der Befreiung von dem 2. Dezember 1947 bis zu dem 17. Oktober 1950 und die Schlussphase der Strafverfolgung von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. An dem Ende seiner darauf gegründeten allgemeineren Überlegungen befürwortet er mit guten Gründenden Erlass eines (nötigenfalls verfassungsändernden) „Rückwirkungsgesetzes“ durch den hierzu legitimierten demokratischen Gesetzgeber.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler