Buchmann, Bertrand Michael, Insel der Unseligen –

Das autoritäre Österreich 1933 – 1938. Molden, Wien 2019. 255 S., 66 Abb. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz. ZIER 10 (2020) 70. IT

Der österreichische Historiker Buchmann, Universitätsdozent für Neuere Geschichte, stellt in einem gestrafften Überblick die Geschichte der Jahre 1932 bis 1938 dar. Bis heute ist im Lande umstritten, wie diese Periode bezeichnet werden soll. Anhänger der Sozialdemokratie und Liberale neigen zur Bezeichnung „Austrofaschismus“, während Konservative und Rechte die Bezeichnung „Autoritärer Ständestaat“ bevorzugen. Der Verfasser wählt stattdessen die Bezeichnung „Dollfuß-Schuschnigg-Regime“. Diese Bezeichnung berücksichtigt, dass zwar die Regierung autoritär war, jedoch spielten die Stände in dem antidemokratischen System nur eine geringe Rolle. Das Wortbild der „Insel“ für Österreich soll einem Ausspruch von Papst Paul VI. im Jahre 1971 gegenüber dem österreichischen Bundespräsidenten Jonas entnommen sein. Autoritäre Regime prägten viele Staaten im Europa der Zwischenkriegszeit, es galt auch für Österreichs Nachbarn, das Deutschland Hitlers, das Ungarn des Admiral Horthy und das Italien Mussolinis grenzten an Österreich. Ähnlich wie im italienischen Faschismus sollten Einheitspartei, Einheitsgewerkschaft, Einschränkung der persönlichen Freiheit, politische Verfolgung, Führerkult, Militarisierung der Gesellschaft, gleichgeschaltete öffentliche Medien, gesteuertes Rechtswesen und abhängige Gerichte dazu beitragen, die desolate Wirtschaftslage des Landes zu bessern. Nach den Verträgen zur Beendigung des ersten Weltkrieges war die ehemals stolze Monarchie mit 53 Millionen Einwohnern zu einem Kleinstaat von 6,5 Millionen Einwohnern geworden. Der von vielen angestrebte Anschluss an das Deutsche Reich war durch Verträge verboten. In der Folgezeit kam es zwischen den „schwarzen“ Bundesländern und dem „roten“ Wien regelmäßig zu Differenzen. Die sozialdemokratischen Reformen in der Sozialpolitik und in Wien bei der Wohnbaupolitik lösten Neidreaktionen in den Bundesländern der Fläche aus. Hinzukam, dass die vergleichsweise gute Ausgangslage mit einer leistungsfähigen Infrastruktur und einer guten Ausbildung der Bürger nicht zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage genutzt wurde. Das Ausland machte durch Handelshemmnisse viele Anstrengungen der Wirtschaft zunichte. Als dann ab 1929 die Wirtschaftskrise nach Österreich griff, verschlechterte sich die Lage rapide. Die maßgeblichen Parteien hatten ihre bewaffneten Gruppierungen, die auch als Parteiarmeen zu bezeichnen waren, die Heim(at)wehren standen auf Seiten der Christsozialen, der Republikanische Schutzbund auf Seiten der Sozialdemokratie. Mit dem Anwachsen der Nationalsozialisten trat eine weitere Gruppierung auf. Die Heimwehren bezogen ihre Waffen und Unterstützung aus Italien, Ungarn und auch aus Bayern. Den Schutzbund unterstützte die Partei, Gewerkschaften und bis 1934 die CSR. Die internen Machtspiele in diesen wichtigen Organisationen stellt der Autor übersichtlich dar. Bei den Lebensläufen der maßgeblichen Personen ist beachtenswert, dass viele von ihnen ab 1938 gemeinsam in Konzentrationslagern waren, wo viele von ihnen verstarben. Die einzelnen Schritte, die zur Errichtung des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes führten, zeigen, wie sich eine parlamentarische Republik selber zu Grunde richtet. Die Darstellung zeigt Vorgehensweisen, wie sie auch noch neunzig Jahre später erkennbar sind.

 

Buchmann weist überzeugend darauf hin, dass sich das österreichische Bundesparlament nicht ‚selbst ausschaltete‘, wie dies gern berichtet wird, sondern Dollfuß schaltete bewusst das Parlament aus, um für sein weiteres Vorgehen freie Bahn zu haben. Bemerkenswert ist, dass für Dollfuß und seine Mitstreiter die Sozialdemokraten (und Kommunisten), nicht dagegen die Nationalsozialisten, die ernster genommenen Feinde waren. Gefördert wurde sein Vorgehen durch eine Unentschlossenheit der Sozialdemokraten, die sich lange damit zurückhielten, dem Schutzbund einen Befehl zum Losschlagen zu erteilen. Versuche von dieser Seite, mit ihm ins Gespräch zu kommen, ignorierte Dollfuß, da er sich seiner Stärke bewusst war und aus Italien Rückendeckung erhielt. Für Italien war zu Mussolinis Zeiten Österreich eine hilfreiche Verbindung zu dem autoritären Ungarn Horthys. Auf verschiedenen Wegen suchte Dollfuß Hitler mit dessen eigenen Waffen zu schlagen, Beobachter prägten dafür den Ausdruck ‚überhitlern‘, er trug wie Hitler oft Uniform und bemühte sich um eine ähnlich aggressive Rhetorik. Mit der ‚Vaterländischen Front‘ (VF) suchte er eine Massenorganisation zu schaffen, die ein Ersatz für die aufgelösten Parteien sein sollte. Dies ging so weit, dass Arbeiter und Angestellte ihren Arbeitsplatz nur behielten, wenn sie der VF angehörten. Im Jahre 1937 soll sie mehr als 3 Millionen Mitglieder gezählt haben, jedoch traten viele ihr nur aus purem Opportunismus bei, Nationalsozialisten, Sozialdemokraten und Kommunisten behielten ihre jeweiligen Überzeugungen bei und passten sich nur äußerlich den gewünschten Umständen an. Dies glich sehr dem Verhalten im Deutschen Reich und bereitete das weitere Verhalten in Österreich nach dem April 1938 vor. Als im Februar 1934 Teile der österreichischen Sozialdemokraten einen bewaffneten Aufstand versuchten, kam dies zu spät und hatte von Beginn an keine Aussicht auf Erfolg. Das Ergebnis war die Ausschaltung der Wiener Gemeindeverwaltung, die Auflösung der freien Gewerkschaften, das Verbot der sozialdemokratischen Partei und am 1. Mai 1934 die Verkündung einer Verfassung für einen ‚christlichen, deutschen Bundesstaat auf ständischer Grundlage‘. Die österreichischen Nationalsozialisten verübten Anfang 1934 in nur einer Woche 140 Sprengstoffanschläge. Sie versuchten im Juli 1934 einen Putsch, um die Macht zu erobern. Zwar wurde in seinem Verlauf Dollfuß erschossen, doch gelang der stümperisch begonnene Putsch nicht. Das Deutsche Reich suchte sich von diesen Bestrebungen zu distanzieren und verhinderte, dass die vorher nach Deutschland geflohenen österreichischen Nationalsozialisten zu einer Unterstützung des Putsches nach Österreich ausreisen konnten. Nachfolger von Dollfuß wurde der bisherige Unterrichtsminister Kurt Schuschnigg, dem es an Charisma, das bei Dollfuß in Ansätzen vorhanden war, fehlte, so dass er mit einem Dollfußkult versuchte, an seinen Vorgänger anzuknüpfen, Denkmäler wurden errichtet, Brunnen und Aussichtswarten zur Erinnerung an Dollfuß geschaffen, Reliefs wurden angefertigt und mit dem Verkauf von Sterbebildern sollte an Dollfuß wie an einen christlichen Märtyrer erinnert werden. In dem Maße wie Hitler in den folgenden Monaten mit der Saarabstimmung, der Verkündung der allgemeinen Wehrpflicht und dem Flottenabkommen mit Großbritannien Prestige gewann, verlor Österreich außenpolitisch an Ansehen und geriet zunehmend in eine Isolation. Als Mussolini im Oktober 1935 den Krieg gegen Abessinien begann, suchte Österreich mit dem Land zu sympathisieren, doch brüskierte es damit die Westmächte, während Mussolini sich von einem Zusammengehen mit dem Deutschen Reich größere Vorteile versprach und seine Rolle als Schutzpatron des Austrofaschismus aufgab. Auf Wunsch seines ehemaligen Protektors musste Schuschnigg einen Weg der Verringerung der Gegensätze zu Deutschland einschlagen, der 1936 mit dem Juliabkommen begann und 1938 im erzwungenen „Anschluss“ endete. Schuschnigg wurde 1938 in Wien verhaftet, später in ein KZ gebracht und erst im Mai 1945 durch Amerikaner befreit. Der Autor stellt ein interessantes Gedankenexperiment an: Was wäre gewesen, wenn das österreichische Heer beim Einmarsch der deutschen Truppen Widerstand geleistet hätte? Der Autor räumt ein, dass es historisch unzulässig ist, derartige Gedankenspiele zu führen. Möglicherweise hätte es 10000 Gefallene und zahlreiche Zivilopfer gegeben, doch wäre Hitler außenpolitisch völlig desavouiert worden. Ob es dann noch zum Münchener Abkommen, der Besetzung der CSR, zum Hitler-Stalin-Pakt und dem Polenfeldzug gekommen wäre, erscheint sehr zweifelhaft. Gedenkt man dann noch der 247000 Österreicher, die im Zweiten Weltkrieg fielen, so ist dieser Gedanke durchaus bedenkenswert. Ebenso wie beim Verhalten des Schutzbundes, der sich 1933 nicht wehrte, hätte die Geschichte für Österreich möglicherweise doch einen anderen Verlauf genommen.

 

Neu-Ulm                                                                                                       Ulrich-Dieter Oppitz